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Julia Schmidt-Jortzig Musik bitte!

Julia Schmidt-Jortzig: ein kleines Mädchen spielt Klavier
© Noam / Adobe Stock
Musische Bildung macht klüger? Kann sein. Auf jeden Fall bringt sie Spaß und auch sonst manch Erfreuliches, meint Julia Schmidt-Jortzig und schreibt hier den bunten Soundtrack ihres Lebens. In fünf Strophen – oder so.

Musik bricht Tabus

Es ist einige Jahre her, Smilli war noch im Waldorf-Kindergarten, als ihre rundliche, phänomenale Erzieherin mich um ein Gespräch bat. "Ich wundere mich etwas über Smillas Vokabular in letzter Zeit, das passt eigentlich gar nicht zu Ihnen."

"Oje, was war denn?", fragte ich alarmiert.

Sie räusperte sich mit Bedacht und sagte dann: "Na ja, als ich heute neben ihr stand und den Früchtetee eingoss, sang sie plötzlich so was wie 'Schüttel deinen Speck‘ oder so ähnlich – da fühlt man sich schon komisch, wenn man in meiner Haut steckt. Und beim Sommerfest neulich, als hier die Väter netterweise gegrillt haben, sang sie: 'Wir grillen, die Mamas kochen und wir saufen Schnaps!‘ Ich muss schon sagen, da bin ich doch etwas erstaunt, gelinde gesagt, das ist eigentlich nicht das Vokabular und der Lebensstil, den wir uns hier wünschen."

Ich musste sehr mit den Lachtränen kämpfen, spürte aber, dass es jetzt um die Wurst ging, wenn ich unseren Ruf als Waldorf-Familie retten wollte: "Ach herrje, entschuldigen Sie bitte", bettelte ich, "es ist einfach so, dass unsere Jungs diese Musik hören, von diesem, na, wie heißt er noch?, ach ja, Peter Fuchs oder so, und da schnappt sie so was auf. Teenager halt, Sie wissen schon. Aber ich werde dafür sorgen, dass Smilli das nicht mehr so mitbekommt." Nahezu alles daran war nicht wirklich wahr, denn erstens wusste ich ganz genau, wie Peter Fox hieß, und zweitens war vor allem ich es, die ihn hörte, einfach weil das Album "Stadtaffe" großartig ist, die Texte auch (wenn auch nicht immer PC) – und die Energie, die davon ausgeht, atemberaubend. Und drittens war es unmöglich und auch nicht meine Absicht, dafür zu sorgen, dass Smilla die Songs, die wir zu Hause hörten, nicht aufschnappt. Denn:

Musik macht das Leben laut und bunt

Natürlich, was wir hören, unterliegt auch gewissen Phasen. Während wir bei den Jungs, als sie klein waren und im Auto noch artig "Unsere Oma fährt im Hühnerstall Motorrad" hörten oder "Deine Freunde" (die allerdings immer noch klasse sind!):

"Oma gibt mir Schokolade, yeah lecker Schokolade, Oma holt mir Naschi aus dem Schrank, sie hat da so ’ne Schublade!",

hören wir heute von Daft Punk über Queen bis Eminem alles kreuz und quer und gern sehr laut.

Wenn auf Autofahrten nichts mehr geht, darf sich jeder reihum ein Lied wünschen, und Smilli ist es, die dabei nach wie vor am meisten abgeht. Egal ob Adele, Ed Sheeran, Peter Fox oder Beyoncé – sie kennt und singt sie alle mit voller Verve, textsicher. Denn seit sie acht ist, liest sie die Texte mit, wenn sie Songs auf einem der Streamingdienste hört, natürlich ohne zu wissen, was sie bedeuten. Da kann es schon mal zu Kollateralschäden kommen.

Ihre Klavierlehrerin jedenfalls, die kaum Englisch kann, hat es endgültig aufgegeben, klassische Stücke von Mozart oder Bach vorzuschlagen. Sie fügt sich Smillas Pop-Leidenschaften und übt mit ihr notfalls auch Billie Eilishs "Bad Guy":

"I'm that bad type Make your mama sad type Make your girlfriend mad tight Might seduce your dad type I'm the bad guy, duh"

Auch nicht grad’ grundschultauglich, aber ein großartiger Song, und Smilli haucht ihn perfekt.

Musik macht müde Mädchen munter

Ja, ist so: Für Smilli ist Musik ein Allheilmittel. Dreht man sie auf, kriegt man das Kind aus dem Bett, auch wenn es komatös verpennt ist. Sie ist übrigens auch die Einzige, bei der das Angebot, ein Instrument zu lernen, wirklich nachhaltig war: Die Jungs haben es stoisch durchgezogen, sicher auch mal ein gutes Gefühl dabei gehabt, aber das war es dann auch. Heute verbringen sie dafür ganze Tage damit, Playlists zu erstellen, die wir dann entweder beim Bügeln, Wäschezusammenlegen oder bei spontanen Partys hören; zum Beispiel, als mein Schwiegervater 80 wurde und nach dem gesetzten Essen mit gesetzten Reden alle Generationen noch tanzen und zusammen rumgrölen wollten.

Im Gegensatz zu ihren Brüdern setzt sich Smilla ohne mein Zutun ständig singend und sich selbst begleitend ans Klavier und beglückt uns mit Popsongs: Zu Weihnachten gab es für mich zum Beispiel "Supermarket Flowers" von Ed Sheeran:

"Halleluhja, you were an angel in the shape of my mom ..."

Musik stiftet Freundschaften

Apropos Engel: Ich erinnere mich an einen sehr zähen Urlaub in einem Familienhotel in Tirol mit Halbpension, in dem ich ständig den Fluchtimpuls unterdrücken musste. Als wir uns abends in den Gastraum begaben, um labbriges Brot und Instantsuppe zu essen und Smilli währenddessen einige ABBA-Songs vor sich hin summte, brachte uns das die Rettung. Und zwar in Form eines saunetten Vaters, der plötzlich am Tisch stand: "Wer ABBA hört, muss in Ordnung sein: Fühlt ihr euch hier auch so fehl am Platze? Wollen wir nachher auf dem Dach noch einen Rosé trinken und eine rauchen? Wir brauchen nette Gesellschaft, sonst drehen wir durch." Es wurden dann sehr fröhliche Tage, zumal Alex auf der Dachterrasse nicht nur einen Rosé, sondern auch noch seine Gitarre auspackte.

Und, yeah, Musik hält Paare zusammen

Jeder Urlaub, jede Lebensphase hat ihren Song, das wissen wir alle – und das gilt auch für die Liebe: Mein erstes Date mit Immo hatte ich bei einem Konzert des legendären Jazz-Saxofonisten Sonny Rollins. Später dann verband uns die schwedische Jazz-Band e.s.t. und ihr Song Gold-wrap. Aber als wir neulich mal keine gute Phase hatten, schickte mein Mann mir "Wandern", einen neuen Nena-Song. Als ich ihn hörte, dachte ich: Wenn er mir diesen Song mit diesem Text schickt, sprechen wir noch die gleiche Sprache – und das tat gut, denn ja, Musik ist eine Sprache, und sie verbindet uns. Uns Schmi-Jos jedenfalls.

"Du und ich wir wandern Und immer geht’s irgendwo hin Von einem Ort zum andern Wo wir sein könn’ wer wir sind Wo grad’ alles wieder stimmt."

Zuhören

kann man Julia auch: Im Podcast ELTERNgespräch unterhält sie sich aktuell mit Gerd Schulze-Körne, Professor für Kinder- und Jugendpsychiatrie, über Lernschwächen.

Julia Schmidt-Jortzig, 48, hat zwei Söhne (Juri, 16, Matti, 15), eine Tochter (Smilla, 10), einen Mann (Immo), einen Hund (Flocke), einen Job und ein Haus in der schleswig-holsteinischen Provinz. Was dabei im Alltag herauskommt, erzählt sie uns hier alle zwei Monate im Wechsel mit Joachim Brandl, Vater von zwei kleinen Töchtern aus Wien.

ELTERN

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