Aktuelle Studien belegen, dass nichts so sehr den späteren Schulerfolg sichert, wie wenn man erste Rechenerfahrungen im Vorschulalter sammeln kann.
Wie Eltern ihr Kind für die Welt der Zahlen begeistern können, weiß Dorothea Waniek. Die Erziehungswissenschaftlerin forscht am Institut für Heil- und Sonderpädagogik der Justus- Liebig-Universität Gießen:
Eltern family: Warum sollten schon Vorschüler unbedingt ein mathematisches Grundwissen verinnerlicht haben?
Dorothea Waniek: Wir stellen immer wieder fest, dass im letzten Kindergartenjahr und in den ersten beiden Schulklassen das Fundament gelegt wird, auf dem Kinder erfolgreich Mathe lernen. Der Umkehrschluss gilt leider auch: Fehlt das Fundament, zeigen sich die Probleme spätestens in der 2. Klasse.
EF: Heißt das, Eltern sollten schon mit ihren Kindergartenkindern Mathe büffeln?
Waniek: Nein, im Vorschulalter geht es nicht darum, Stoff aus der ersten Klasse vorwegzunehmen. Ein absolutes Muss ist dagegen, dass ein Kind erkennt, dass fünf Äpfel immer fünf Äpfel bleiben.
EF: Wissen das nicht alle Vorschüler?
Waniek: Leider nicht. Viele können zwar fantastisch zählen, haben aber keine Vorstellung von Mengen. Ihnen fehlt die Erfahrung, egal, ob ich die Äpfel dicht nebeneinander- oder weit auseinanderlege oder ob ich ein Muster damit mache: Fünf bleibt fünf! Und das gilt auch für alle anderen Zahlen.
EF: Worauf sollten Eltern außerdem achten?
Waniek: Vorschulkinder sollten zuordnen können. Im Alltag bieten sich dafür ständig Gelegenheiten. Beim Tischdecken etwa: "Haben wir für jeden von uns schon einen Teller? Nein, da fehlt ja noch einer! Ach, dafür ist hier aber ein Messer zu viel!" Selbst bei diesen kleinen Feststellungen passiert in den Köpfen der Kinder abstraktes Denken: Sie sehen die Personen vor ihrem inneren Auge, zählen sie und vergleichen, ob für jede Person ein Teller und ein Messer vorhanden ist. Dann folgt die Überlegung, wie viel man noch braucht oder was bereits zu viel ist. Mathematik ist letztlich abstraktes Denken, und das kann man bei jedem Kind ganz ohne Mathebuch fördern.
EF: Wie zum Beispiel?
Das klingt verblüffend, aber abstraktes Denken wird ganz wunderbar gelernt, wenn man viel vorgelesen bekommt. Als Zuhörer kann man nämlich nur dann eine Geschichte richtig genießen, wenn man sich die Szenen genau ausmalt – das ist Trainingssache.
EF: Wenn es später bei den Textaufgaben Probleme gibt, heißt es oft, dass das Lesen noch schwerfällt.
Dabei steckt oft etwas ganz anderes dahinter: Die Kinder können sich nicht vorstellen, was sie lesen. Und ohne konkretes Bild sind sie aufgeschmissen bei der Entscheidung: Plusrechnen oder Malnehmen? Minus oder Teilen? Kinder, denen viel vorgelesen wurde, sind ganz klar im Vorteil.

Neue Studienergebisse: Rechnen wichtige als Lesen
Eine neue Studie der University of California, Irvine, belegt, dass die Mathe-Kenntnisse von Kindern vor der Einschulung ein Schlüsselfaktor sind, um den späteren Schulerfolg vorauszusagen.
Professor Greg Duncan und sein Team haben 20 000 Kindergartenkinder in einer Langzeitstudie beobachtet. Untersucht wurden die Fähigkeiten in Mathematik, erstes Lese- und Schreibverständnis sowie viele andere Faktoren, etwa Durchhaltevermögen und Teamfähigkeit. Getestet wurde bereits im Kindergarten und dann mehrfach in der Grundschulzeit.
Trotz Berücksichtigung bestehender Unterschiede hinsichtlich des IQ und des Familieneinkommens zieht Duncan ein eindeutiges und überraschendes Fazit: "Man sagt ja immer, dass die Lesefähigkeit weitgehend den Schulerfolg bestimmt. Aber es war Mathe, das alle anderen Faktoren übertraf, wenn es darum ging, welche Fähigkeit Kindern am meisten dient, um die besten Ergebnisse in der Schule zu erzielen. Lesen steht an zweiter, Konzentrationsfähigkeit an dritter Stelle."