Ab 3 Jahren
Regeln für kleine Streithähne
Gerade für Kita-Kinder sind Streiten und Vertragen Formen der Selbsterfahrung. Die braucht es, um sich in der Welt zurechtzufinden
Warum Kinder streiten
Das Lego-Auto, das ich unbedingt haben will. Der Stuhl neben der Erzieherin, der mir gehören soll. Lohnt es sich, darum zu kämpfen? Kinder zwischen drei und sechs Jahren probieren das aus. So lernen sie, die eigenen Gefühle wahrzunehmen und zu regulieren. Freundschaften, die sich durch Streit und Versöhnung entwickeln, sind jetzt noch kein großes Thema. Aber die Kleinen legen die Grundlagen dafür.
Die Wut rauslassen
Wenn kleine Kinder aggressiv werden, merken sie oft erst hinterher, dass sie dem anderen wehgetan haben. Gefühle wie Wut, Ärger, Enttäuschung oder Frust müssen durchlebt werden, um sie einordnen zu können. Wir können helfen, indem wir das Gefühl formulieren und vermitteln: Es ist okay, dass du wütend bist. Andererseits sollten wir Grenzen setzen: Beißen, Kratzen, Kneifen, Hauen sind keine Streitmöglichkeiten. Wer nicht weiter weiß, darf immer Hilfe holen.
Regeln besprechen
Im Kindergartenalter verstehen die Kleinen bereits, dass es Regeln des Zusammenlebens gibt – auch fürs Streiten und Versöhnen. Diese Regeln kann man gemeinsam vereinbaren. Kommt es zum Streit, ist es gut, wenn wir Großen erst mal beobachten. Wer hat die Oberhand? Welche Strategie nutzt das Kind? Oft lösen die Kleinen die Konflikte eigenständig. Werden Grenzen verletzt, sollten wir eingreifen und sagen, was nicht in Ordnung ist.
So geht Vertragen
Entschuldigung ist für Kindergartenkinder oft nur ein Wort. Anschaulicher wird es, wenn die Großen sagen: "Jetzt hilfst du, dass es dem anderen Kind wieder besser geht" – und Begleitung anbieten: "Komm, wir machen das zusammen." Versöhnung kann heißen: ein Kühlkissen holen und dem anderen geben. Den umgeworfenen Bausteinturm zusammen wieder aufbauen. Eine Geste überlegen, die signalisiert: Ich möchte Frieden schließen. Manche Kinder entwickeln mit der Zeit eher körperliche Strategien, etwa eine Umarmung, ein An-die-Hand-Nehmen. Andere sind sehr wortgewandt, erklären und vermitteln lieber.
Das richtige Timing
Haben die Kleinen sich gezofft, und die Sache ist vorüber, braucht es von uns Großen keine Nachsorge mit Fragen wie: Was war denn heute mit dir? Hattest du einen schlechten Tag? Kleinen Kindern hilft das wenig. Sie leben im Moment. Wenn es für sie wieder gut ist, sollte es das für uns Erwachsene daher auch sein.
Fachliche Beratung:
Barbara Nolte ist Expertin für frühkindliche Bildung und Referatsleiterin im Verband für Bildung und Erziehung (VBE) Nordrhein-Westfalen
Schon an vielen Grundschulen gibt es Streitschlichter. Das sind ausgebildete Mädchen und Jungen, die bei Konflikten neutral bleiben und vermitteln. Die Ausbildung ist je nach Bundesland, Schule oder sozialem Träger unterschiedlich. Ein bundesweit aktiver Verein ist Seniorpartner in School, der lebenserfahrene Menschen als Ehrenamtliche zur Mediation an Schulen einsetzt: seniorpartnerinschool.de
Ab 8 Jahren
Versöhnung ist ein schönes Gefühl
Kinder ab acht Jahren beobachten ihre Umwelt genau und hinterfragen schon vieles. Ihr Denken wird komplexer, ihre Persönlichkeit reift – unter anderem durch die Pflege von Freundschaften. Beim Streiten und Versöhnen entdecken Kinder im Grundschulalter auch, dass sie Gleichaltrige oder Geschwister zurate ziehen können. Lerneffekt: Gemeinsam geht es besser. Dennoch kann der Moment der Versöhnung auch noch in diesem Alter ganz schlicht ausfallen: "Wollen wir wieder Freunde sein?" – das reicht oft schon als Vereinbarung. Vier Mädchen und Jungen erzählen
Milla, 8: "Zwei Freundinnen und ich, wir sind die Brillen-Gang. Neulich hatten wir Streit. Ilka wollte wie immer spielen, dass wir uns in Tiere verwandeln. Anni wollte lieber, dass wir mit den Puppen einer Klassenkameradin spielen. Anni ist oft so empfindlich. Nach dem Streit schliefen wir eine Nacht drüber. Am nächsten Tag auf dem Schulhof habe ich Anni in den einen und Ilka in den anderen Arm genommen. Ich habe gefragt: 'Wollen wir uns wieder vertragen?' Da war alles gut."
Kavin, 8: "Richtig Ärger hatte ich bislang nur mit Mama und Papa. Einmal sollte ich mein Zimmer aufräumen und habe es nicht gemacht. Beide waren richtig wütend. Besser wurde es erst, als wir uns alle entschuldigt haben. Dazu hatte ich ganz schnell aufgeräumt und als Erster Entschuldigung gesagt. In der Familie umarmen wir uns dabei."
Sieke, 9: "Ich habe mich mal sehr doll mit meiner besten Freundin gestritten. Sie hat mich immer rumkommandiert, bis ich eines Tages gesagt habe: 'Ich möchte das nicht.‘ Da wollte sie nicht mehr meine Freundin sein. Ich war verletzt. Ein paar Tage war Funkstille. Meine große Schwester hat mir den Tipp gegeben, die Sache zu akzeptieren. Ich sollte einfach sagen: 'Dann bist du eben nicht mehr meine Freundin.‘ Das hat Lilli zum Nachdenken gebracht. Am nächsten Tag kam sie zu mir und hat gefragt, ob wir wieder Freunde sein wollen. Seitdem verstehen wir uns besser. Als wir uns vertragen haben, habe ich mich erleichtert gefühlt."
Max, 10: "Den krassesten Streit, an den ich mich erinnern kann, hatte ich mit meiner Mutter. Worum es ging, weiß ich nicht mehr. Auf jeden Fall habe ich mich danach schrecklich gefühlt. Eine Weile war dicke Luft, wir haben nicht miteinander geredet. Als wir uns beide entschuldigt haben, war das ein tolles Gefühl. Ich weiß noch, dass Mama sich zuerst entschuldigt hat. Mit meinen Kumpels streite ich mich fast jeden Tag, das ist was anderes. Einen Moment lang ist man sauer, und dann verträgt man sich. Vieles meint man doch nicht so, wie man es gesagt hat."
Ab 12 Jahren
"Eine Lösung zu finden, das ist Lebenskunst"
Christopher End, 48, coacht Eltern, die die Beziehung zu ihrem Kind stärken wollen: Er bietet Onlinekurse und Therapiesitzungen in seiner Kölner Praxis an. Im Podcast "Eltern-Gedöns" gibt er Tipps zum achtsamen Elternsein
Eltern family: Wie ist das mit dem Streiten und Verzeihen bei Teenagern?
Christopher End: Das ist sehr unterschiedlich – deswegen plädiere ich dafür, jedes Kind in seiner Einzigartigkeit zu sehen. Wir Eltern sollten sensibel dafür sein, was gerade im Moment los ist. Grundsätzlich können Kinder ab zwölf schon viel allein. Vor allem in der Peergroup, der sozial wichtigen Gruppe der Gleichaltrigen, haben Eltern nichts verloren. Während der beginnenden Pubertät sind die Kinder allerdings auf dem Sprung, es ist eine unsichere Zeit. Bei Konflikten brauchen sie deshalb auf besondere Weise Halt.
Was können Eltern tun, um diesen Halt zu geben?
Bei einem Streit gibt es ja immer zwei Seiten. Wir Erwachsene sind schnell bei der Lösung des Konflikts. Dann haben wir aber den ersten Schritt übersprungen. Wir sollten erst mal wertschätzen, welche Gefühle unser Kind durchlebt: Traurigkeit, Zurückweisung, Beschämung – diese Gefühle mit auszuhalten erfordert Geduld. Wenn das Kind da durchgegangen ist, können wir helfen, einen Perspektivwechsel einzuleiten. Das ist der zweite Schritt: Wie geht es dem anderen? Dieser Blickwinkel ist nötig, um zu einer Versöhnung zu kommen. Viele Jugendliche sind gut darin, bei sich zu bleiben. Das ist auch notwendig, wenn in der Pubertät alles wackelig ist. Nach einem Streit aber auch die Perspektive zu wechseln, ist lehrreich. Es bringt uns weg vom Täter-Opfer-Denken. Denn das ist bei einem Streit unter Freunden nicht hilfreich.
Und als Drittes?
Sollten wir Eltern das Vertrauen haben, dass unser Kind gut ausgestattet ist, um diese Herausforderung selbstständig zu meistern. Teenager haben die Fähigkeit zur Empathie, sie haben einen Sinn für Gerechtigkeit. Wenn wir ihnen zu Hause den Rücken stärken, können sie den Konflikt in der Peergroup meist allein klären: Im Streiten und Versöhnen erarbeiten sich unsere Kinder ihre Beziehungsfähigkeit.
Oft genug passiert der schlimmste Streit in der Familie. Wie geht Versöhnung, wenn man als Eltern mittendrin steckt im Konflikt?
Wir sollten die Aggressionen unserer Kinder als Einladung zur Selbstreflexion betrachten: Was zeigen sie uns? Manchmal müssen wir uns im Streit schmerzhafte Attacken anhören. Dann am besten nicht sofort reagieren. Denn ein Dagegenhalten ist ein unglaublicher Kampf. Eine Pause hilft uns dabei, nicht aus der Verletzung blöde Sachen zu sagen. In Konflikten Lösungen zu finden und sich zu versöhnen, das ist Lebenskunst. Methoden wie Spiegeln, aktives Zuhören und Regulationstechniken wie Meditation helfen dabei – und lassen sich lernen.
Die Selbstständigkeit von Kindern zu fördern, ist ein wichtiges Ziel der weltweiten Pfadfinderbewegung. In Deutschland gibt es fünf anerkannte Verbände. Wer eine Gruppe in seiner Nähe sucht, wird hier fündig: pfadfinden-in-deutschland.de
"Paula und die Kistenkobolde" ist ein Theaterstück der Augsburger Puppenkiste, das in Zusammenarbeit mit der gemeinnützigen GmbH Papilio zur Gewaltprävention in Kitas gezeigt wird. Eltern können Bilderbücher und Hörspiel-CDs mit Erläuterungen auf papilio.de bestellen (ab 9,95 Euro)