Beim dritten Kind wird alles besser. Besonders das mit der Liebe und der Nachsicht. Wenn ich was gelernt habe, dann, dass es vor allem auf eines ankommt: gezeigte, geäußerte und gelebte bedingungslose Zuneigung, jawohl! Smilla bekommt also ständig gesagt, wie großartig sie ist. "Weißt du eigentlich, wie toll ich dich finde?" oder "Du bist so ein kluges, hübsches Mädchen! Ich bin dein Fan!" (Ich bemühe mich immer sehr, mit "klug" anzufangen, von wegen Feminismus.) Ich spare also nicht mit Kuscheln und Loben, wo es hingehört. Da Smilli immer recht ungerührt mit "Ich weiß, Mami!" antwortet, merke ich: Es trägt offenbar Früchte. Das mit dem Reden klappt also schon mal super.
Beim Tun habe ich dafür etwas nachgelassen. Was habe ich mit den größeren Jungs gebastelt: Weihnachtsgeschenke, Patengeschenke, Krippen, Laternen! Und getuscht! Und gebacken. Und Wald-Ausflüge und Fahrrad-Touren gemacht. Bei Smilli kam das alles in diesem Jahr gar nicht mehr so häufig vor, ehrlich gesagt. Das liegt zum einen daran, dass Smilli sich ihre Abenteuer einfach selbst sucht. Wahrscheinlich, weil ich nicht mehr die Animateurin spiele. So schläft sie beispielsweise gern bei 13 Grad und Regen allein im Gartenhäuschen. Obwohl die Brüder sagen, die Ratten dort würden bestimmt ihre Gummibärchen fressen. Sie bastelt auch ständig irgendwas aus irgendwas, das sieht man an den Glitzer-Papierschnipseln, die überall herumfliegen. Aber ich will jetzt Ordnung im Wohnzimmer und im Garten, und gebastelt habe ich gefühlt fürs ganze Leben genug. Basta.
Gute Gründe
Und es gibt noch einen weiteren Grund, warum ich nicht mehr so gefordert bin: Smillis beste Freundin Sofie. Die ist erstens nicht drittes, sondern erstes Kind, hat zweitens total nette und zugewandte Eltern – und die sind drittens (sorry) geschieden. Die Vorteile (für uns) liegen auf der Hand: Sofies Vater Ben hat einen Resthof mitten im Gewerbegebiet, auf dem allerlei Aussteiger, Künstler, Hühner, Katzen und Hasen leben, sodass es nie langweilig wird. Der ganze Hof liegt ständig voller Bauholz und Zeug, sodass man nach Herzenslust werkeln, matschen und zwischen freilaufenden Kaninchen zelten kann. Wird es dort doch mal langweilig, radelt der unendlich geduldige Ben mit den Damen zum recht weit entfernten Reiterhof und lässt sie stundenlang da zugucken. "Ein Dream", sagt Smilli.
Hat Sofie Mutter-Woche bei Eva, legt die sich nicht minder ins Zeug: Sie backt mit Sofie und Smilli, bastelt die tollsten Sachen (Beruf: Designerin) oder baut Kaulquappentümpel im Garten. Smilli ist dafür entzückend zu Sofies kleinem Bruder, den sonst alle Mädchen absnobben. Und sie hat Sofie in ihre Reitgruppe geschleust, obwohl es da eine ellenlange Warteliste gibt. Unser Zeit-und-Freude-Konto ist ausgeglichen. Rede ich mir jedenfalls ein, an guten Tagen. An schlechten fühle ich mich schuldig: Darf ich das, einfach meinen eigenen, mütterlichen Zuständigkeitsbereich wegdelegieren? Aber damit ist jetzt Schluss, habe ich beschlossen: Auch Mami darf mal eine Phase haben. Gern auch eine längere.
Denn: Es gibt nicht nur Reden oder Tun, sondern auch die Kunst des Nicht-Tuns. Anders gesagt: das Unterlassen, das Loslassen. Für Mütter häufig die schwerste Disziplin, aber nicht minder wichtig. Ich übe mich gerade darin, zu akzeptieren, dass andere Leute Dinge anders machen, als ich sie mit meinen Kindern machen würde. Zähneputzen zum Beispiel wird bei Ben nicht so diktatorisch kontrolliert wie bei mir. So what?
Eine Haltung, die ich als Kontrolletti-Mutter lange üben musste, aber ich bin auf einem guten Weg, obwohl mir manches noch schwerfällt. Auch bei den Großen. Ist Smillas Bruder Matti beispielsweise bei seinem Freund Arno, dann ist es nicht nur so, dass ich etwas freie Zeit ergattere. Ich muss auch meine Standards in Sachen Medienzeit runterschrauben, denn Arno hat, wie "ALLE in der Schule", eine Playsi. Die dort natürlich auch heftig frequentiert wird. Aber vermehrt denke ich: "Na und? Soll er dort haben, was hier nicht geht, schau ich einfach mal dran vorbei" (und stattdessen beim Latte Macchiato in die "Gala").
Ist doch ein super Deal
Woanders dürfen meine Kinder in die Bäume klettern oder Schlittschuh fahren, ohne Schreckensszenarien ausgemalt zu bekommen ("Pass bloß auf, wenn du die Handschuhe nicht anziehst, kann es sein, dass dir jemand die Finger abtrennt mit seinen Kufen!"). Kurzum, ich habe beschlossen, die Sache wie folgt zu sehen: Ich bin keine schlechte Mutter, nur weil ich derzeit keine Lust (mehr) habe zu basteln und Plätzchen zu backen. Sondern ich bin eine gute, weil ich mich raushalte und Verantwortung abgebe. Langfristig soll es ja darauf hinauslaufen, oder?
Apropos langfristig: Ich glaube an Kreisläufe und Wellenbewegungen. Früher habe ich gebastelt, und viele Kinder kamen zu uns, weil sie das toll fanden. Heute geht meine Tochter eben woanders hin, weil die Mama dort besser backen oder basteln kann als ich (und noch Lust darauf hat). Früher habe ich meine Kinder bei Laune gehalten und umsorgt, im vergangenen Jahr war eher meine Mutter dran, die im Sterben lag und wo es nicht mehr allzu viel zu lachen gab. So verging ein Jahr, in dem Julia, die Mami, etwas eingemottet war und Julia, die Tochter, sich etwas verausgabt hat. Jetzt habe ich das dringende Gefühl, auch mal an der Reihe zu sein. Und Julia, die Julia, will zuweilen einfach auf dem Sofa liegen und gar nichts tun. Das ist keine Faulheit, das ist eine Haltungsfrage: In diesen hektischen Zeiten bin ich das neue Role Model für Mütter.
Klar, auch das ist erst mal nur eine Phase, und das muss nicht für immer so bleiben. Wenn es Sofies oder Arnos Eltern irgendwann einmal genauso geht (muss ja nicht gleich jemand sterben, man darf auch einfach mal grundlos faul sein), dürfen sie ihre Kinder gern hierher zu mir bringen. Ich bastle nicht mehr so gern, aber kochen kann ich richtig gut, auch für richtig viele und auch gern zweimal am Tag. Immo, der kluge Gatte, würde sagen: "Mach dir keinen Kopp, das dengelt sich alles irgendwie hin." Und das nehm ich jetzt mal an.
Julia Schmidt-Jortzig, 47, hat zwei Söhne (Juri, 16, Matti, 14), eine Tochter (Smilla, 9), einen Mann (Immo), einen Hund (Flocke), einen Job und ein Haus in der schleswig-holsteinischen Provinz. Was dabei im Alltag herauskommt, erzählt sie uns hier alle zwei Monate im Wechsel mit Joachim Brandl, Vater von zwei kleinen Töchtern aus Wien.