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Faul sein Auch Mütter dürfen mal kürzertreten

Faul sein: eine junge Frau mit dunklen Haaren lehnt sich entspannt auf dem Sofa zurück
© fizkes / Shutterstock
Das musste Nora im Laufe ihres Mutterdaseins erst mühsam lernen. Inzwischen genießt es die ganze Familie.

Der Erzieherin war die Sache sichtbar peinlich. Während mein Kind mir beim Abholen stolz einen Zettel entgegenstreckte, setzte sie zu einer wortreichen Erklärung an: Sie wisse ja, dass ich als mehrfache Mutter sicher unglaublich fleißig und viel beschäftigt sei, und ihr sei auch überhaupt nicht klar, warum mein Kind so darauf bestanden habe, das da nun hinzuschreiben, aber …

Ich nickte irritiert, packte Kind und Zettel ein und verstand erst draußen, was der Grund für diesen seltsamen Moment war: ein Fragebogen, den die Kinder im Kindergarten ausgefüllt hatten. "Meine Mama“ stand groß über einer Art Steckbrief: Was meine Mama am liebsten isst, was meine Mama am liebsten trinkt, was meine Mama am besten kann. Und da stand dann: "Faul sein".

Mein Kind strahlte mich an: "Stimmt doch, Mama, oder? Faul sein kannst du besonders gut!"

All die Mühe umsonst?

Klar versetzte mir das im ersten Moment einen Stich. Da hatte ich mit diesem kleinen Menschen jahrelang gemalt und gesungen, gebastelt und gebacken … und dann fiel ihm auf die Frage nach meiner Superkraft ausgerechnet das Nichtstun ein?

Bei näherem Hinsehen ging mir auf, wie toll die Antwort eigentlich war. Denn tatsächlich habe ich in kaum einem Bereich meines Mutter-Lebens so eine steile Lernkurve hingelegt wie beim Thema Kürzertreten. Die Gefahr, sich selbst zu überfordern, besteht ja nicht nur bei mir. Studien, die die Wochenarbeitszeit von Müttern kleiner Kinder zu erfassen versuchen, landen regelmäßig bei Sechzig- bis Hundertstundenwochen.

Man könnte es auch einfacher formulieren: Mütter von Kindern, die noch nicht auf sich selbst aufpassen, arbeiten nahezu immer – entweder für Geld in ihrem Job oder unbezahlt im Haushalt und der Kinderbetreuung. Dahinter steckt einerseits ein jahrhundertealtes Mutterbild, das uns Frauen weismachen will, von Natur aus besonders begabt in Sachen Babypflege zu sein. Andererseits spiegelt sich darin das Wertegerüst unserer modernen Leistungsgesellschaft wider: Du bist, was du schaffst. Die Folge: Wir arbeiten und arbeiten und arbeiten – und haben trotzdem immer das Gefühl, nicht genug zu tun.

Schlechtes Gewissen

Und selbst wenn wir uns als Eltern die Arbeit partnerschaftlich teilen, wird das Gefühl von Entlastung schnell von einem nagend schlechten Gewissen aufgefressen, wie eine Studie des Deutschen Jugendinstituts von 2019 eindrucksvoll belegt. Die Wissenschaftlerinnen fanden heraus, dass Mütter nicht nur Stress haben, wenn sie Haushalt und Kinderbetreuung nahezu oder ganz allein managen. Sondern auch, wenn sie einen engagierten Partner an ihrer Seite haben, der mehr als die Hälfte der anfallenden Care-Arbeit übernimmt.

Warum? Weil sie sich dann schnell als schlechte Mütter fühlen. Die Folge dieser unseligen Verquickung von überhöhtem Mutterideal und gnadenlosem Selbstoptimierungswahn ist eine Rastlosigkeit, wie ich sie bei nahezu allen Müttern in meinem Umfeld beobachte. Wir checken beim Stillen unsere E-Mails, flitzen nach der Arbeit im Affenzahn zur Kita, zwingen uns gegen unsere Erschöpfung an zum Spielen, Basteln und Pflasterkleben, streicheln unseren Kindern jeden Abend an der Bettkante sacht die Augen zu – und haben trotzdem ständig das Gefühl, nicht genug zu sein. Weil wir eben doch wieder laut geworden sind. Weil es zum Abendessen Tütensuppe gab statt frischer selbst gekochter. Weil unsere Kinderzimmer nicht so stylish aussieht wie das bei anderen Insta-Moms und wir selbst uns nicht so dauerdankbar und glücklich fühlen wie die Mütter, die da in ihre Handykameras lächeln.

Ich vermute, dass es solche Bilder waren, die mich nach der Geburt meiner ersten Tochter dazu brachten, mich bereits wenige Tage nach der Geburt in meine alten Jeans zu quetschen, Make-up aufzulegen und tapfer und stolz zu versuchen, mich in meinen neuen Alltag mit Baby zu stürzen – obwohl mir mein Körper eigentlich signalisierte, dass Ausruhen die bessere Wahl gewesen wäre.

Wichtige Erkenntnis

Es dauerte mehrere Jahre, bis mir bewusst wurde, wie hart und gnadenlos ich da mit mir selbst umgegangen bin – und wie wenig gesund es ist, mich selbst in allen Bereichen meines Lebens zu Höchstleistungen anzutreiben. In der Folge habe ich ganz bewusst geübt, faul sein zu können und zu dürfen, gerade und vor allem im Wochenbett. Von Kind zu Kind blieb ich nach meinen Geburten länger im Bett und ließ mich versorgen wie eine Königin. Und von Kind zu Kind hatte ich dabei immer weniger Schuldgefühle und spürte immer mehr, wie gut mir dieses vollkommene Nichtstun von Zeit zu Zeit tut.

Diese Erfahrung nahm ich mit in meinen neuen Alltag. "Kommt, lasst uns heute faul sein" wurde für meine Kinder entsprechend bald zu einem anderen Wort für wirklich entspannte Nachmittage mit viel Fernsehen, Kakao und Abendessen vom Pizzadienst. Das gehört für sie heute genauso selbstverständlich zu ihrem Alltag wie unsere Ausflüge und Aktivitäten.

"Faul sein ist wunderschön", singt Pippi Langstrumpf auf dem Bildschirm, während mein Mann die Popcornmaschine anschmeißt und wir anderen uns gemeinsam aufs Sofa kuscheln. "Sag ich doch", sagt mein Kind zufrieden und schmiegt sich an mich. "Und du kannst es besonders gut."

Nora Imlau schreibt als freie Autorin für ELTERN, sie hat einen erfolgreichen Blog (nora-imlau.de) und viel Erfolg mit Bestsellern wie "So viel Freude, so viel Wut", Kösel, 20 Euro, oder "Mein Familienkompass", Ullstein, 22,99 Euro.

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