Kindliche Sexualität verstehen
Kinder entdecken ihren ganzen Körper unbefangen und spielerisch. Ein Kind nimmt diese Erkundungen aber nicht als Sexualität im Sinne der Erwachsenensexualität wahr. Natürlich kann es schöne Gefühle empfinden, wenn es seine Genitalien berührt und es kann zu körperlichen Reaktionen kommen. Dennoch gehören solche Berührungen schlicht zur Körpererkundung wie auch das Untersuchen der Hände oder der Zehen. Falls ihr euch als Eltern also mal etwas unwohl damit fühlt oder ihr euch fragt, ob es irgendwie problematisch ist, wenn euer Kind beispielsweise intensiv auf einem Kissen umherrutscht, vergegenwärtigt euch einfach, dass eure Sicht auf diese Handlungen absolut nicht auf die kleinen Entdecker zu übertragen ist.
Gutes Körpergefühl vermitteln
Stillen, kuscheln, den eigenen Körper befühlen: Körpererfahrung beginnt schon mit der Geburt und findet in gewissem Umfang sogar schon im Mutterleib statt. Im körperlichen Miteinander erfährt dein Kind, dass es geliebt wird und wertvoll ist. Und auch den eigenen Körper findet jedes Kind erst einmal einfach unglaublich spannend. Die Zunge ist nass. Der Po hat ein Loch. Die Zehen können wackeln. Faszinierend! Erst durch Einflüsse von außen kommen Unsicherheiten und Scham ins Spiel. Als Eltern könnt ihr aber viel dazu beitragen, dass das gute Körpergefühl bleibt, indem ihr vermittelt: Dein Körper ist toll, so wie er ist und an ihm ist nichts „schmutzig“ oder „verboten“. Denn Sprache ist mächtig und vor allem Mädchen werden noch immer oft fragwürdige Körperideale vermittelt. Werft am besten auch mal einen prüfenden Blick auf euren eignen Umgang mit eurem Körper, denn auch das kann Einfluss auf das Selbstbild eures Kindes haben: „Mama beschwert sich immer über ihre hässlichen Beine. Was ist denn mit denen? Sind meine Beine in Ordnung oder stimmt mit denen vielleicht auch etwas nicht?“
Aufklärung als Prozess begreifen
Ein positives Körpergefühl zu vermitteln, beginnt also sehr früh. Wann aber soll man mit der Aufklärung anfangen? Besser früh und nebenbei statt als Aufklärungsstunde. Immer dann, wenn es Fragen gibt. Denn wenn die Neugier der Kleinen auch in Fragen der Sexualität einfach gestillt wird wie bei allen anderen Fragen, begreift es ganz nebenbei, dass Sexualität eine ganz normale Sache im Leben ist. Man sagt: Jedes Kind, das alt genug ist für eine Frage, ist auch reif genug für die Antwort. Beantworte dabei am besten konkret die Frage deines Kindes und gehe nicht mehr ins Detail als nötig. Je jünger das Kind, desto allgemeiner darf die Antwort ausfallen. Dem Dreijährigen reicht es oft schon, wenn man auf die Frage, wie die Babys in den Bauch kommen, antwortet: „Das passiert, weil wir uns so lieb haben.“ Wenn ein älteres Kind mehr wissen möchte, wird es nachhaken und Details einfordern.
Forscherdrang zulassen
Im Kleinkindalter fangen Kinder an, nicht mehr nur den eigenen Körper zu entdecken. Bei sogenannten Doktorspielen schauen und fassen sie den Körper anderer Kinder an und erforschen neugierig die körperlichen Unterschiede. Ihr könnt ganz gelassen bleiben, wenn ihr eine solche Situation mitbekommt. Das ist völlig normal und in Ordnung, solange sich kein Kind bedrängt fühlt, keine älteren Kinder involviert sind und beispielsweise nichts in Körperöffnungen gesteckt wird. Ihr könnt zusammen entsprechende Regeln aufstellen. Die Doktorspielephase ist etwa mit fünf, sechs Jahren zu Ende. Das Interesse daran lässt insgesamt meistens schnell nach, wenn die Kleinen die wichtigsten Unterschiede erst mal kennengelernt haben. In diesem Alter erkunden sich Kinder aber nicht nur gegenseitig, sondern stimulieren sich auch auf unterschiedliche Weise selbst. Hier ist ebenfalls Gelassenheit gefragt. Wenn das Kind am Esstisch beginnt, sich zu berühren, ist es aber vollkommen legitim, zu erklären, dass man sich dafür in einen privateren Bereich zurückzieht. Denn es ist nicht wichtig, dass einfach alles immer erlaubt ist. Vielmehr zählt der respektvolle Umgang mit der sexuellen Neugierde der Kinder und eine zugewandte, nicht beschämende Sprache. Nach und nach entwickeln Kinder dann ein Gefühl für ihre eigene Privatsphäre und auch die Schamgefühle anderer Menschen, die es zu respektieren gilt.
Es ist nicht alles nur Po
„Komm, wir machen den Po sauber.“ Wisch, wisch, wisch. Hinten, vorne und in der Mitte. Schon ist der Po sauber. Aber Moment mal, da stimmt doch was nicht. Richtig, es ist eben nicht alles Po. Trotzdem verallgemeinern wir oft, wenn wir mit Kindern über ihre Intimzone sprechen. Eigentlich komisch: Alle anderen Körperteile werden schließlich auch einfach beim Namen genannt. Für die schamhafte Verschleierung von Penis, Hoden, Scheide, Vulva gibt es eigentlich keinen Grund. Und: Wenn Kinder die richtigen Begriffe und ihre Funktion kennen, können sie auch eher artikulieren, wenn sie Fragen, Probleme oder Schmerzen haben. Wenn ihr euch unwohl mit den Namen aus dem Anatomiebuch fühlt, können aber auch erst mal Mumu, Pipi und ähnliches aushelfen. Außerdem sollten Kinder von Anfang an erfahren, dass Scheide, Penis und Hoden Privatsache sind: Du alleine darfst diese Körperbereiche selbst erkunden. Darüber hinaus dürfen aber nur Mama und Papa dort waschen und der Arzt darf dort untersuchen, wenn Mama oder Papa dabei sind.
Grenzen und Selbstbewusstsein: Mein Nein hat eine Bedeutung
Im Kleinkindalter, wenn sich Kinder für Geschlechterunterschiede interessieren, fangen sie oft an, auch die Eltern genauer zu begutachten und wollen zum Beispiel beim gemeinsamen Bad alle Körperteile von Mama und Papa untersuchen. Das ist völlig normal. Trotzdem müssen Eltern nicht alles zulassen, wenn es ihnen unangenehm ist. Ein „Nein, das möchte ich nicht“ zeigt, dass es persönliche Grenzen gibt, die respektiert werden müssen. Das ist eine sehr wichtige Botschaft! Alles sollte immer in Einklang mit den eigenen Grenzen und Gefühlen stattfinden. Umgekehrt dürfen auch Kinder Nein sagen. Es ist sogar sehr wichtig, sie von Anfang an darin zu bestärken, dass ihr Nein eine Bedeutung hat. Das geschieht in alltäglichen Situationen, die erst mal nichts mit Sexualität zu tun haben. Wenn Clara nicht mehr gekitzelt werden möchte, dann hört der Opa auf zu kitzeln, auch wenn es lustig erscheint, noch einmal eine Runde nachzulegen. Wenn Oskar sich im Schwimmbad gerade nicht einfach auf der Wiese umziehen möchte, auch wenn alle anderen Kinder das machen, dann geht’s halt in die Umkleidekabine. So erfahren Kinder von Anfang an: Mein Nein zählt. Ich darf Stopp sagen, wenn ich etwas nicht (mehr) lustig finde. Mit der Zeit lernen sie dann, ihre eigenen Grenzen selbstbewusst zu verteidigen und auch die von anderen zu respektieren.
Toleranz und freie Entfaltung fördern
Jedes Kind ist anders. Dieser Satz gilt wie für die meisten Entwicklungs- und Persönlichkeitsfragen auch für die Sexualität. Und Kinder verstehen meist sehr gut, dass eben alle Menschen unterschiedlich sind. Offenheit und den Sinn für die Vielfalt der Möglichkeiten muss man ihnen in ganz jungen Jahren eigentlich gar nicht beibringen. Leo liebt Kohlrabi, Hanna findet Johannisbeeren viel besser. Kein Problem, oder? Linda wird von Mama und Papa abgeholt, Sarah von Papa und Papi. Ist halt so!
Trotzdem bauen auch Kinder schon sehr früh gewisse Konzepte auf, mit denen sie ihre Umwelt ordnen und sich orientieren. Außerdem nehmen sie auch wertende Botschaften ihrer Umgebung auf. So kann es gut sein, dass Max in der Kita nicht beim Puppenspiel mitmachen darf, „weil das doch nichts für Jungs ist.“ Dann heißt es für die Erwachsenen: Vermitteln und mit den Kindern in den Dialog treten, damit sich Vorurteile und Stereotype nicht verfestigen. Kinder sind da zum Glück noch sehr flexibel. Wichtig ist außerdem, eine vertrauensvolle Atmosphäre für Fragen zu schaffen und selbst Offenheit und Respekt gegenüber anderen und deren Lebensweise zu zeigen. Denn das vermittelt auch: Du darfst ebenfalls so sein, wie du bist. Du bist wertvoll, wie du bist. Was und wie du fühlst, ist wichtig und richtig.
Quellen:
BzgA
Profamilia
Bundeszentrale für politische Bildung
regenbogenfamilien-nrw.de