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Von der Depression in die Psychose

Christina Herbold, 35 Jahre, aus Karlsruhe erkrankte nach der Geburt ihres ersten Kindes an postpartaler Depression. Beim zweiten Kind bekam sie sogar eine nachgeburtliche Psychose und musste stationär behandelt werden.

"Unser Sohn Nico war ein absolutes Wunschkind. Doch schon während der Schwangerschaft überkamen mich seltsame Gefühle und Ängste, die ich nicht verstand. Fragen wie: 'Was erwartet mich nur? Schaff ich es mein Kind großzuziehen? Kann ich überhaupt eine gute Mutter sein?' beschäftigten mich unentwegt.

Bereits einen Tag nach der schwiergien Entbindung stiegen in mir seltsame Gefühle auf. Ich musste ständig weinen, ich konnte mit dem Kind nichts anfangen. Ich hatte nicht das Gefühl, dass das jetzt mein eigen Fleisch und Blut sei - es war alles so fremd für mich. In mir regte sich nichts, ich fühlte mich, als wäre ich innerlich zu Stein geworden.

Als ich mit meinem Baby aus der Klinik in unsere Wohnung kam, war alles so fremd, als ob es nicht mein Leben wäre. In den folgenden Monaten lebte ich in einem seltsamen Zustand, der nicht viel mit der Realität zu tun hatte. Wenn ich mal kurz "zurückkam" in die wirkliche Welt, überkamen mich Ängste, Panik und Traurigkeit. Ich weinte nur noch. Ich hatte Angst vor meinem Kind und vor meinen Aufgaben als Mutter.

Mein Mann ging bereits nach drei Tagen wieder in die Arbeit. All meine Aufgaben – mein Kind füttern und wickeln, den Haushalt machen - machte ich nur noch mechanisch. Ich funktionierte, aber ich lebte nicht mehr.

Wegen meiner Stimmungsschwankungen und meiner Gereiztheit streitete ich oft mit meinem Mann. Der hielt es irgendwann nicht mehr aus und meinte, ich sei verrückt und solle zum Arzt gehen. Damals lebte ich schon neun Monate in dieser anderen dunklen Welt. Körperlich war ich da, aber geistig weit weg. Mein Geist floh vor dieser Welt, in der ich nur noch Angst hatte. Mein Körper funktioniert und außer meinem Ehemann bemerkte niemand, was mit mir los war.

Ich ging zu einer Ärztin, die daraufhin eine postpartale Depression bei mir diagnostizierte. Ich lehnte jede Hilfe ab, wollte mir nicht eingestehen, dass ich krank bin und Hilfe brauche. Also machte ich weiter wie bisher, spielte die Rolle der Mutter, Hausfrau und Ehefrau. Aber ich, Christina, war nicht mehr da. Ich war innerlich total leer und abgestumpft. Empfand keine Gefühle, keine Liebe, kein Glück.

Nach 18 Monaten wollte mein Mann, dass wir ein zweites Kind bekommen. Ich wurde wieder schwanger. Während der Schwangerschaft ging es mir körperlich gut, psychisch war ich aber total abgestumpft. Ich empfand nichts.

Unsere Tochter kam innerhalb drei Stunden auf die Welt. Für kurze Zeit tauchte ich aus meinem Zustand auf, um die Geburt intensiv miterleben zu können. Nach der Geburt fühlte ich mich, als könnte ich Bäume ausreißen. Ich wollte schnell aus dem Krankenhaus und war voller Tatendrang.

Bereits am ersten Tag fiel ich zu Hause wieder in ein Loch. Meine Kleine schlief wenig und schrie viel. Kurz darauf, hatte ich einen Zusammenbruch. Ich verlor den Boden unter den Füßen, wollte nicht mehr leben und meine Kinder mit in den Tod nehmen.

Damals hatte ich den Bezug zur Realität vollkommen verloren. Die Diagnose lautete jetzt "postpartale Psychose". Diesmal musste ich mir helfen lassen, sonst hätte ich nicht überlebt. Ich bekam Antidepressiva, die mir aus meinem tiefen Loch heraushalfen. Meine Mutter und mein Mann kümmerten sich in den ersten Wochen um den Haushalt, die Kinder und um mich.

Als ich dann einigermaßen stabil war, ging ich zu einer Heilpraktikerin. Ich war drei Jahre in Behandlung. Insgesamt war ich fünf Jahre krank. Eine lange, beschwerliche Zeit liegt hinter mir, in der auch meine Kinder unter meiner Krankheit gelitten haben.

Die Therapie hat mein Selbstvertrauen gestärkt, ich lernte für meine Bedürfnisse zu kämpfen und mich selbst zu akzeptieren. Ich sehe die Zeit der Krankheit jetzt als einen Teil von mir - als einen Teil von meinem Leben."

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