Niemand kann Selbstwertgefühl besser vermitteln als die Eltern
Stellen Sie sich vor, es stünde in Ihrer Macht, Ihrem Kind eine wichtige Eigenschaft zu schenken, die ihm ein sinnvolles, glückliches, erfolgreiches Leben ermöglicht. Welche wäre das?
Selbstwertgefühl, sagen Experten. Nichts stärkt ein Kind mehr als das Wissen: "Ich bin wunderbar. Niemand ist so wie ich." Und niemand kann dieses Gefühl besser vermitteln als Eltern.
Um sich selbst einzuschätzen, müssen Kinder zunächst ihr Wissen und Können, ihren Besitz und ihr Aussehen mit anderen vergleichen. Die ersten zwölf Jahre geht es ständig darum, wer mutiger, klüger, stärker und vor allem, wer "Erster" ist. In dieser Phase beobachten Kinder genau, was ihnen andere rückmelden: "Du bist tüchtig, klug, fleißig." Oder: "Du bist dumm."
Erst mit Beginn der Pubertät kommen sie allmählich zu einer eigenen, realistischen Einschätzung von Stärken und Schwächen. Und je genauer, sachlicher, zuversichtlicher diese ausfällt, desto besser sind sie als Teenager Krisen und Herausforderungen gewachsen.
Wir haben wichtige Forschungsergebnisse zusammengetragen, damit Sie Ihr Kind dabei unterstützen können, ein gutes Selbstwertgefühl zu entwickeln und zu einer verantwortungsvollen, mutigen, widerstandsfähigen und liebenswerten Persönlichkeit heranzuwachsen.
Strategie 1: Starke Eltern haben starke Kinder
Laut einer Studie der Universität Kalifornien bringen Eltern von Kindern mit hohem Selbstwertgefühl ihrem Nachwuchs täglich mehrere Beweise der Zuneigung und Anerkennung entgegen. Sie gehen demokratisch mit ihren Kindern um, hören sich ihre Meinung an und nehmen sie ernst. Gleichzeitig sind sie weniger nachsichtig, konsequenter und eindeutiger, was ihre Erwartungen betrifft. Eine liebevolle und strenge Erziehung, so die Wissenschaftler, bekommt Kindern am besten.
Strategie 2: Selbstbewusst durch Oma und Opa
Enkel steigern bekanntlich das Selbstwertgefühl von Großeltern. Weniger bekannt ist, dass der regelmäßige Kontakt mit Großeltern oder anderen alten Menschen dazu beitragen kann, dass Kinder und Heranwachsende sich besser im Leben zurechtfinden.
Sozialpsychologen vermuten, dass die grundsätzlich positive Haltung den Enkeln gegenüber der Grund dafür ist: Großeltern hören geduldig zu und respektieren Ansichten der Enkel, auch wenn sie diese nicht unbedingt teilen. Die Enkel wiederum sind anderen Lebensanschauungen und Wertvorstellungen gegenüber aufgeschlossen, früher in der Lage, eigene Positionen zu vertreten, und bewegen sich sicherer in der Welt der Erwachsenen.
Strategie 3: Selbstlosigkeit schenkt Zuversicht
Kinder, deren Eltern trotz der vielen Probleme auf dieser Welt optimistisch bleiben und sich dafür einsetzen, dass sie ein besserer Platz wird, sind mutiger und zuversichtlicher, seltener krank und später erfolgreicher als Kinder von pessimistischen Eltern. Das haben finnische Sozialwissenschaftler herausgefunden. Gut, wenn (ehrenamtliches) Engagement ein Teil des Familienlebens ist.
Strategie 4: Tiere bringen Ausgeglichenheit
Verantwortung für Tiere stärkt das Selbstvertrauen, vor allem in Phasen großer seelischer Belastungen. Untersuchungen zeigen, dass regelmäßiger Kontakt mit Tieren kooperativ, aufgeschlossen und weniger aggressiv macht. Ein eigenes Haustier muss allerdings nicht sein: Urlaub auf dem Bauernhof, Besuche im Streichelzoo oder Doggysitting haben die gleichen Effekte.

Strategie 5: Mit eigenem Kopf nach oben
Unangepasstes Verhalten geht häufig mit großer Intelligenz und Kreativität einher, haben amerikanische Psychologen entdeckt. Kinder, die durch merkwürdiges Benehmen und eine ungewöhnliche Sprache auffallen, sind deutlich kreativer als "normale" Kinder - und später erfolgreicher. Wissenschaftler vermuten, dass sie ihre rechte Gehirnhälfte intensiver nutzen. Wer zeitweise mit einer Außenseiterposition fertig werden muss, ist überdies autarker und seelisch stabiler. Das gilt insbesondere für Mädchen in der Pubertät. Bei einer Untersuchung der Lebenswege erfolgreicher Frauen ließ sich feststellen, dass sie selten der Star in der Clique waren. Zum Ausgleich suchten sie sich Nischen, wo sie in Ruhe sie selbst sein konnten. Sie lasen viel oder bewegten sich in Gruppen, in denen Interessen wie Sport, Kunst, Musik im Vordergrund standen. Ihr Kind darf also ruhig ein paar Ecken und Kanten haben - und diese behalten.
Strategie 6: Ein Mentor hilft durch Krisen
Kinder sind widerstandsfähiger, belastbarer und lernfähiger, wenn zumindest ein Mensch in ihrer Umgebung fest an sie und ihre Fähigkeiten glaubt. Dann bewältigen sie sogar große Herausforderungen und schwere Krisen. Das hat die Resilienzforscherin Emmy E. Werner bereits vor über 40 Jahren herausgefunden.
Konzentriert man sich hingegen auf Fehler und Schwierigkeiten, können Kinder nur schwer erfolgreiche, das heißt tragfähige, Lernstrategien entwickeln und bleiben in ihren Leistungen oft unter ihren Möglichkeiten.
Dem Kompetenzverlust geht immer ein Vertrauensverlust voraus. Entwicklungspsychologen und Hirnforscher empfehlen drei Dinge: 1. Kritik positiv formulieren und sich darauf konzentrieren, was ein Kind schon kann. 2. Schwierige Aufgaben in kleinen, zu bewältigenden Schritten angehen. 3. Erfolge analysieren. So bekommen Kinder ein Gespür für ihre Leistungsfähigkeit und für geeignete Lernstrategien.
Strategie 7: Eigenverantwortung fördert Kompetenz
"Die stärkste Lernmotivation für Kinder ist Autonomie", sagt der Motivationsforscher Martin E. Seligman. "Die Frage ist nicht 'Wie motiviere ich mein Kind?', sondern: 'Wie kann ich Umstände und Situationen herstellen, in denen mein Kind seinen angeborenen Drang, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, ausleben kann, um sich selbst zu motivieren?'"
Seligman empfiehlt, von klein auf selbstbestimmtes Handeln zu unterstützen. "Am besten erklärt man, warum eine Aufgabe wichtig ist, und lässt dann die größtmögliche Freiheit in der Wahl der Mittel. Bittet das Kind um Hilfe, gibt man die kleinste Anregung, die es braucht, um selbst aktiv zu werden."
Strategie 8: Verzicht regt an
Kinder entwickeln mehr Fantasie, diskutieren mehr zusammen und finden bessere Problemlösungen, wenn sie zeitweise ohne normiertes Spielzeug auskommen müssen und sich selbst nach geeigneten Objekten zum Spielen, Bauen, Erforschen umsehen. Das weisen Studien nach, die in Skandinavien durchgeführt wurden. Spielzeugfreie Zeiten sensibilisieren vor allem für die eigenen Spiel- und Beschäftigungsbedürfnisse.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch amerikanische Erziehungswissenschaftler. Wohl dosierte Mangelsituationen, insbesondere was Konsumartikel angeht, regen an, ungewöhnlich zu denken, und verhindern, dass Kinder immer in der breiten Masse mitschwimmen müssen. Dazu gehört: Etwas nicht zu bekommen, was alle haben, oder etwas nicht zu dürfen, was andere dürfen. Ein einfaches "Nein" genügt allerdings nicht. Eltern müssen erklären, warum sie etwas ablehnen: Weil es sexuell provozierend ist, gewalttätig, aus Plastik, kitschig, teuer oder ohne wirklichen Nutzen. Nur wenn Kinder Bescheid wissen, können sie sich unter Gleichaltrigen behaupten.
Strategie 9: Gemeinsam sind wir stark
Kinder, die am öffentlichen Leben Anteil nehmen, sind selbstbewusster, leistungsstärker und überstehen besser die Stürme der Pubertät. Es gibt viele Möglichkeiten, schon früh für gesellschaftspolitische oder ökologische Fragen zu sensibilisieren. Man kann E-Mails an Abgeordnete schreiben, wenn das Schwimmbad Sparmaßnahmen zum Opfer fallen soll, oder einen "Rettet-die-Kröten-Club" gründen. Solche Aktivitäten verbinden mit anderen und tragen dazu bei, dass Kinder ihre eigene Stimme finden und lernen, wie man sie erhebt.
Strategie 10: Eine tiefere Stimme für mehr Sicherheit
Mit einer Piepsstimme erweckt man nicht nur bei Anderen den Eindruck, man sei inkompetent und würde sich selbst nicht ernst nehmen. Logopäden und Sprecherzieher wissen, dass Kinder allein dadurch Zutrauen und Sicherheit gewinnen, dass sie etwas tiefer sprechen. Sie empfehlen spielerische, kreative Sprachgestaltung, zum Beispiel Geräusche und Tierstimmen nachahmen, Zungenbrecher üben oder Wortketten bilden.
Strategie 11: Werte zeigen den Charakter
Kinder, die mit ethischen bzw. religiösen Werten und Überzeugungen aufwachsen und erleben, dass ihre Eltern zu ihnen stehen, entwickeln schon früh ein hohes ethisches Selbstideal. Sie sind in der Lage, die Welt mit den Augen eines anderen zu sehen, und denken differenziert über Recht und Unrecht nach.
In den ersten zehn Lebensjahren geht es vor allem um Fairness und Gerechtigkeit. Später sollten Eltern jedoch an eine höhere Stufe moralischen Denkens appellieren, empfiehlt der Lehrer und Rabbiner Steven Carr Reuben: "Berufen Sie sich auf Liebe statt auf Gerechtigkeit: 'Tu das, weil wir eine Familie sind.' Und: 'Gib nach, weil er dein Freund ist.' Loben Sie oft für menschliche Wärme, Anteilnahme, Großzügigkeit. So lernen Kinder, dass es im Leben nicht darum geht, dass alle immer das Gleiche bekommen, sondern dass jeder bekommt, was er wirklich braucht."
Strategie 12: Wer Einfluss hat, fühlt sich wichtig
Viele Untersuchungen zeigen, dass für gewalttätige und unsoziale Handlungen Menschen verantwortlich sind, die sich "unwichtig" fühlen. Das Gefühl, machtlos zu sein und keinen Einfluss zu haben, wirkt sich verheerend auf die Persönlichkeit aus. Schenken Sie Ihrem Kind das Gefühl, dass es eine Spur hinterlässt und die Welt durch seine Gegenwart schöner, reicher und aufregender wird.