Ob ein Kind durch außergewöhnliche Leistungen auffällt oder Schulprobleme hat - schnell kommt der Vorschlag: "Dann lassen Sie Ihr Kind doch testen!" Und tatsächlich sind wissenschaftliche Begabungstests inzwischen so ausgereift, dass sie deutliche Hinweise darauf bringen, welche Potenziale in einem Kind stecken. Es gibt vier verschiedene Arten von Tests, je nach Fragestellung und Alter des Kindes:
Intelligenztests
Sie messen den IQ. Ein Intelligenztest sagt aber längst nicht so viel aus, wie viele Menschen glauben. Zum einen sagt die IQ-Zahl nichts über das sogenannte Begabungsprofi l, sondern ist nur ein Durchschnittswert aus einer Vielzahl von Ergebnissen. Deshalb sollte ein Intelligenztest immer „mehrdimensional“ sein, also die Ergebnisse im Einzelnen nennen, vom räumlichen Vorstellungsvermögen bis hin zur sprachlichen Kreativität.
Aber auch ein solches Begabungsprofi l sagt noch nicht mit Sicherheit, wie erfolgreich ein Kind in der Schule sein wird. Dr. Helga Ulbricht, Schulpsychologin und Leiterin der staatlichen Schulberatungsstelle München: "Man geht heute davon aus, dass der IQ allein nur etwa 40 bis 50 Prozent der Schulleistung ausmacht."
Leistungs- und Persönlichkeitstests
Weitere wichtige Faktoren sind zum Beispiel die Motivation, die Fähigkeit, sich zu konzentrieren, und auch die sogenannten "Kontrollüberzeugungen". Damit sind die Bausteine gemeint, auf die das Kind seinen Erfolg zurückführt: auf die Leichtigkeit der Aufgabe, auf Glück, auf seinen Fleiß oder seine angeborene Intelligenz. Zusammen mit Faktoren wie Ehrgeiz, Motivation, Angst, Aufmerksamkeit und Merkfähigkeit werden diese Kontrollüberzeugungen in Leistungs- und Persönlichkeitstests gemessen.
Entwicklungstests
Sie messen, ob ein Kind seinem Alter gemäß entwickelt ist, und werden in erster Linie bei kleineren Kindern eingesetzt, um eventuelle Entwicklungsverzögerungen aufzuzeigen und gezielte Förderung einzuleiten.
Berufsbezogene Tests
Sie sollen Schülern in den letzten zwei Jahren vor dem Schulabschluss helfen, herauszufi nden, für welche Berufsfelder sie am besten geeignet sind. Das ist vor allem wichtig, wenn der Schüler selbst noch unentschieden ist und die Lehrer unterschiedlicher Meinung sind.
Und wohin nun zum Test?
Die ersten Adressen sind meist die Schule selbst, Schulberatungsstellen oder Ärzte, die solche Tests durchführen. Immer öfter werben auch private Anbieter damit, durch einen (teuren) Test die wahren Begabungen eines Kindes zu entdecken. Am Preis aber, so Dr. Ulbricht, kann man die Güte eines Tests nicht ablesen: "Im Zweifelsfall sollten Eltern das Testangebot mit dem vergleichen, was lokale Schule, Arzt oder andere Beratungsstellen zu bieten haben. Dort bekommen sie eventuell kostenlos und in gleicher Qualität, wofür sie beim privaten Anbieter Hunderte von Euro bezahlen."
Denn entscheidend ist, wie seriös der Test ist. Jeder wissenschaftlich fundierte Test wird geprüft und mit zwei Werten versehen: einen für die Zuverlässigkeit, einen für die Gültigkeit. Zuverlässigkeit bedeutet, dass der Test tatsächlich misst, was er messen soll, Gültigkeit, dass sich sein Ergebnis mit anderen Messverfahren nachprüfen lässt. Beide Werte werden mit einer Zahl angegeben, die unter 1 liegt, geschrieben mit einem Punkt davor, zum Beispiel .79. Gute Tests liegen bei .80. Praktisch alle gängigen Tests fi ndet man mit diesen Werten im Internet unter www.testzentrale.de
Ärzte und Psychologen an Beratungsstellen und Schulämtern arbeiten nur mit Tests, die wissenschaftlich geprüft sind. Schwieriger wird es, wenn etwa ein privates Testinstitut einen selbst entwickelten Test anbietet, der keine solche Zahl vorweisen kann. In diesem Fall sollte der Testleiter erklären können, welches Verfahren seinem Test zugrunde liegt und warum er ihn nicht hat prüfen lassen.
Das Ergebnis ist nur ein Teil im Puzzle
Bleibt die Frage, wie Eltern mit dem Testergebnis am besten umgehen, denn Testergebnisse sind wie Etiketten, auf denen zum Beispiel steht "musisch begabt“ oder "sehr intelligent" oder "kann kein Mathe". Die Gefahr besteht darin, dass Eltern das Testergebnis als endgültiges Urteil sehen. Ergibt der Test zum Beispiel eine unterdurchschnittliche Begabung, wird solch ein Etikett dazu führen, dass das Kind entmutigt denkt: "Ich kann das sowieso nicht, stand ja im Test." Oder, umgekehrt: Wenn das Testergebnis eine besondere Begabung zeigt, entsteht leicht eine hohe Erwartungshaltung und entsprechender Druck: "Du bist doch so begabt - warum hast du eine Drei geschrieben?!"
Beides, Resignation und zu viel Druck, sind Gift für die kindliche Motivation. Dr. Helga Ulbricht: "Das Testergebnis ist nie identisch mit dem, was ein Kind eines Tages erreichen kann. Und das ist sehr tröstlich! Eltern sollten das Ergebnis also nicht zu ernst nehmen, sondern es betrachten als das, was es ist: ein einzelnes Puzzleteil, das mit vielen anderen zusammen ein Bild von dem ergibt, was das Kind erreichen kann."