Schüler gegen Stress gezielt stärken
Jedes vierte Grundschulkind klagt mehrmals pro Woche über Stress-Symptome wie Kopfschmerzen, Bauchweh, Schlafprobleme oder Appetitlosigkeit. Zu den typischen Ursachen gehören Probleme in der Schule, Leistungsdruck, Überforderung, Streit mit Freunden oder innerhalb der Familie und zu stark verplante Nachmittage.
In Watte packen kann man die Kinder trotzdem nicht. Was also tun? Professor Arnold Lohaus rät dazu, alle Schüler gezielt zu stärken – und am besten schon im Vorschulalter damit zu beginnen. Der Diplom-Psychologe forscht an der Universität Bielefeld zu Stress-Erleben im Alltag, Stress-Prävention und Entspannungsmaßnahmen.
1. Was stresst mich?
Darum geht’s: Ein überfordertes Kind weiß nur selten, warum es sich schlecht fühlt. Der erste Schritt raus aus der Überforderung heißt daher: Stress erkennen lernen.
So coachen Sie Ihr Kind: Überlegen Sie gemeinsam, in welchen Situationen Stress entsteht und wie sich das anfühlen kann. Schildern Sie Ihrem Kind dazu ein paar typische Alltagsmomente, die Sie selbst als belastend empfinden. Fragen Sie Ihr Kind, ob es ähnliche Gefühle kennt und wann.
Um konkrete Stress-Situationen dann genauer unter die Lupe zu nehmen, helfen drei Fragen:
Was ist da genau passiert?
Welches Gefühl hat das in dir erzeugt?
Möchtest du damit demnächst andersumgehen?
Das Wahrnehmung-stärken-Spiel:
Für Kinder ist es unglaublich schwer, Anspannung und Angst auf ihre Ursachen zurückzuführen. Vor allem dann, wenn nur darüber geredet wird. Ein Spiel, das Situationen mit Gefühlen verbindet, öffnet den Blick und schärft die Wahrnehmung. Alles was Sie dazu brauchen, sind ein Ball und ein paar Satzanfänge, die immer einen kritischen Moment im Kinderleben beschreiben. Sie sagen den Satzanfang und werfen den Ball Ihrem Kind dabei zu. Beispiel: "Wenn ich nachmittags keine Zeit zum Spielen habe ..." Ihr Kind fängt den Ball und beendet den Satz gleichzeitig etwa so: "... mag ich abends nicht ins Bett gehen, weil mir etwas fehlt."
Machen Sie sich eventuell kurze Notizen zu den Antworten, um anschließend gemeinsam zu überlegen, ob und wie man auch anders reagieren könnte. Durch Ihre Lösungsvorschläge erfährt Ihr Kind, dass unterschiedliche Menschen in denselben Situationen verschiedene Gefühle haben.
Für Sie gibt es hier noch ein paar Beispiele für die ersten Satzhälften, die Ihrem Kind bestimmt zu denken geben: Wenn ich mich mit jemandem gestritten habe ... Wenn andere über mich lachen... Wenn andere etwas besser können als ich ... Wenn ich nicht mitspielen darf ... Wenn ich müde bin ... Wenn mir etwas gar nicht gelingt ... Wenn mir etwas Blödes passiert ist ...
2. Wie kann ich stressige Situationen verändern?
Darum geht’s: Nichts immunisiert besser gegen Stress, als Probleme direkt anzugehen. Dazu muss man zunächst Lösungsmöglichkeiten erkennen, und genau das fällt Vorschulkindern noch schwer.
So coachen Sie Ihr Kind: Suchen Sie sich zusammen eine schwierige Situation aus, die Sie mit der zuvor geschilderten Übung gefunden haben. Überlegen Sie anschließend, wie viele verschiedene Möglichkeiten es gibt, dieses bestimmte Problem zu lösen.
Der Trick dabei ist, die eigene Perspektive zu verlassen, um die Sache aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Das schaffen auch Fünf- oder Sechsjährige schon, wenn man ihnen zeigt, dass sie dazu am besten in eine andere Rolle schlüpfen.
So zum Beispiel: Was würdest du tun, um das Problem zu lösen? Was tun andere in so einem Fall? Was würde Superman machen? Welche Lösung könnte funktionieren? Worauf musst du achten, wenn du es ausprobierst? Wer könnte dir dabei helfen?
Das Eine-gute-Lösung-finden-Spiel:
Nutzen Sie den Spaß am Rollenspiel, um Ihr Kind für die schwierigen Momente im Leben stark zu machen. Schildern Sie in kurzen Sätzen eine knifflige Situation, die Ihr Kind zurzeit beschäftigt. Aber Achtung: Ändern Sie Namen, eventuell auch Orte, um das Spiel abstrakter zu gestalten. Zum Beispiel so: "Komm, wir spielen, dass du ein Kind bist, das gern Fußball spielen möchte. Mir gehört der Ball, und ich will dich nicht mitmachen lassen. Was machst du jetzt?" Oder: "Du bist ein Kind aus dem Kindergarten. Morgens hast du den Fußball aus Versehen in die Glastür geschossen. Deine Mutter holt dich ab. Ich spiele die Mutter, und du siehst mich in den Gruppenraum kommen. Wie geht’s weiter?" Spielen Sie die Situation gemeinsam durch. Danach tauschen Sie die Rollen. Ein Gespräch über das Erlebte schließt das Spiel ab. "Welche Lösung gefiel dir am besten?" "Was würdest du in Wirklichkeit ausprobieren wollen?"
3. Was entspannt mich?
Darum geht’s: Kinder wissen oft nicht, wie viel sie sich zumuten können. Sie müssen erst lernen, dass man sich immer wieder für und damit zwangsläufig auch gegen etwas entscheiden muss. Es passt einfach nicht alles in einen Tag, was man gerne unterbringen würde. Nach der Einschulung nimmt dieses Problem leider zu.
So coachen Sie Ihr Kind: Unterstützen Sie Ihr Kind bei der Entscheidungsfindung für seine Nachmittagsaktivitäten. Was ist wichtig (zum Beispiel Freundschaften pflegen, Zeit für Muße, Zeit zum Toben)? Was ist möglich? Wie viel Zeit muss für die eine oder andere Sache eingeplant werden, damit sie gut erledigt werden kann oder wirklich Spaß macht? Zeigen Sie Ihrem Kind, wie es unterscheiden kann, was ihm nachhaltig guttut und was ein kurzfristiger Spaß ist. Was schöne Gefühle macht, finden Sie gemeinsam mit diesen Fragen heraus: Wann hast du dich das letzte Mal ganz toll gefühlt? Warum ging es dir da so gut? Wie lange hat das Gefühl angehalten? Wie fühlt sich das genau an, wenn es dir gut geht?
Das Ich-entspanne-mich-Spiel:
Für ein Entspannungsposter braucht man einen großen Bogen Papier, Farbe, Pinsel, Zeitschriften, Kataloge, Klebstoff und Schere. Auf das Papier malt und klebt Ihr Kind alles, was ihm guttut, wenn es ihm schlecht geht. Es sollte sich ruhig ein paar Tage Zeit lassen, bis das Poster fertig ist. Denn es gibt so viele verschiedene schöne Dinge, die man tun kann, dass sie einem selten alle auf einmal einfallen.
Wichtig: Achten Sie darauf, dass Ihr Kind möglichst alle Sinne berücksichtigt, weil die unterschiedlichen Sinneskanäle auch unterschiedlich auf Körper, Geist und Seele wirken. Das könnten ein paar Beispiele für die Liste sein: Musik machen oder einfach nur hören Bücher mit schönen Bildern betrachten ein Hörspiel hören etwas Leckeres essen/ trinken eine Überraschung für jemand anders vorbereiten auf dem Bett liegen und träumen ein Bad nehmen einen schönen Duft für die Duftlampe auswählen durch den Garten laufen auf einen Baum klettern und oben eine Weile sitzen bleiben eine Blume betrachten mit dem Haustier kuscheln Mama oder Papa in den Arm nehmen ganz laut schreien so schnell rennen wie möglich ein Bild malen usw.
In den Tagen, in denen Ihr Kind sein Entspannungsposter bastelt, sollten Sie es immer mal wieder darauf ansprechen. Unterstützen Sie Ihr Kind bei der Suche nach Entspannungsmöglichkeiten jedoch nur zurückhaltend. Am besten helfen Sie ihm mit Fragen weiter. Denn jeder kann nur für sich selbst herausfinden, was ihm guttut. Das gilt auch schon für Vorschulkinder! Übrigens spricht nichts dagegen, dass auch Sie sich Ihr eigenes Entspannungsposter gestalten!
Buchtipp:
Mit den "Kapitän-Nemo- Geschichten" (Herder spektrum, 7,95 Euro) arbeiten Fachleute seit über 20 Jahren. Die Verhaltenstherapeutin Ulrike Petermann hat sie vor gut zehn Jahren auch für Eltern und ihre Kinder aufgeschrieben. Mit Kapitän Nemo, der sicher durch Abenteuer und Gefahren lenkt, gewinnen Kinder Mut, Sicherheit und Selbstvertrauen. Die Geschichten entspannen bei Angst und Stress und erhöhen die Konzentrationsfähigkeit.