Ein 16-Stunden-Lerntag ist für Kinder von Jiwa-Eltern ganz normal. Zwischen Schule, Nachhilfeunterricht, Sport- und Musikunterricht bleibt gerade so Zeit zum Atmen. Der Wettstreit um die bessere Bildung ist massiv und auf Dauer nicht nur eine Belastung für die Kinder, sondern auch für die Eltern.
Jiwa – woher kommt der Ausdruck?
"Jiwa Parenting" wird umgangssprachlich auch "Chicken Parenting" genannt und beschreibt eine hauptsächlich in China ausgelebte Erziehungskultur, die für beinahe aggressives Bemuttern und Einmischen in das Leben der Kinder bekannt ist. Übersetzt bedeutet Jiwa, "Kinder zu huhnen". Der Ausdruck stammt von einer alternativen chinesischen Medizinbehandlung aus den 1950er-Jahren, bei der Personen frisches Hühnerblut injiziert wurde, um diese zum Lernen zu motivieren. Die Therapieform ist längst verboten, aber der Ausdruck ist geblieben.
Wer setzt die hohen Maßstäbe?
Jiwa-Eltern werden vom Leistungsdruck und Konkurrenzkampf getrieben – die antiautoritäre Erziehung setzt auf das Gegenteil. Sie meinen es gut, wollen nur das Beste für ihre Sprösslinge und schaukeln sich dabei gegenseitig hoch. Hier werden sogar Kleinkinder in MBA-Vorbereitungskurse geschickt – und dass ein Fünfjähriger bis spät abends Matheaufgaben lösen muss oder Schriftzeichen lernt, ist nicht sonderlich außergewöhnlich. Die Kinder gehen oft nicht vor Mitternacht ins Bett. Die besten Schulen, privater Nachhilfeunterricht, Sprachunterricht, Kalligraphie-, Kunst- und Sportstunden – der Tag ist vollgestopft mit bildungsfördernden Aktivitäten.
Was aber fehlt bei diesem Erziehungsstil, der an die autoritäre Erziehung erinnert, ist Raum für Selbstentfaltung, Raum einfach Kind sein zu dürfen. Jiwa-Kinder verhalten sich oft wie kleine Erwachsene. Gesund ist das nicht. Der Druck, der sowohl auf den Schultern der Kinder als auch auf denen der Erwachsenen lastet, ist immens. Das Ausbrechen ist nur schwer möglich, so festgezurrt sind die Strukturen und Denkmuster. Loslassen würde für die meisten Eltern bedeuten, ihre Kinder im Streben nach Bildung und der damit einhergehenden Hoffnung auf ein erfülltes Leben alleine zu lassen.
Eine Regierungsfrage?
Im Schnitt geben Jiwa-Familien 25 bis 50 Prozent ihres Einkommens für ergänzende Bildung aus, größtenteils für privaten Nachhilfeunterricht nach der Schule, der in China zu einem Multi-Milliarden-Dollar-Geschäft geworden ist. Ein maßgeblicher Grund dafür, dass die Geburtenrate in China stetig sinkt, ist, dass die meisten Familien sich schlichtweg nicht mehr als ein Kind leisten können. Die kommunistische Partei, die in China regiert, versucht seit geraumer Zeit, diesen Kreislauf zu unterbrechen. Das Ziel: die Geburtenrate anzukurbeln.
Das ist allerdings nur möglich, wenn Eltern nicht mehr die Notwendigkeit sehen, so große Teile ihrer Ersparnisse in die Bildung der Kinder stecken. Durch verschiedene Maßnahmen, wie dem Verbot von Hausaufgaben, Einschränkung von Online-Nachhilfeunterricht etc., möchte der Staat Abhilfe schaffen. Es bleibt dennoch fraglich, ob diese Verbote wirklich hilfreich sind. Denn solange Konkurrenz existiert, bleibt die Angst der Eltern bestehen, ihre Kinder könnten den Anschluss verpassen.
Quellen: psychologytoday.com, npr.org