Als Eltern stellte man sich die Entwicklung so vor: Die Kinder sind klein, und man kümmert sich um sie, hilft ihnen, fördert sie und leitet sie an. Dann werden sie älter und selbstständiger. Wollen immer mehr allein entscheiden und regeln. Die Eltern sehen ein, dass ein 15-Jähriger eigenverantwortlich handeln muss, sie überlassen es also diesem langen Lackel, wann er Hausaufgaben macht und sein Zimmer aufräumt. Dann warten sie. Und warten. Und warten. Sie fragen sich: Gibt es vielleicht so eine Art umgekehrte Proportionalität der Pubertät? Je älter ein Kind wird, desto weniger macht es, kann es, kriegt es auf die Reihe?
Einsilbiges Gebrumme, hämmernder Hip-Hop
Es hört ja nicht auf bei Chaosschreibtischen, auf denen sich statt Latein- und Mathematikbüchern leere Coladosen und verklebte Joghurtbecher stapeln. Pubertierende Teenager reden auch nur noch das Nötigste. Einsilbiges Gebrumme, wortloses Türenschlagen, verschlossene Zimmertüren, hinter denen Hip-Hop hämmert - es war schon mal gemütlicher.
Null-Bock-Generation oder einfach Pubertät?
Sie vernachlässigen frühere Hobbys und Vorlieben, geben, wenn überhaupt, nur einsilbige Antworten, lassen in der Schule nach - Jugendliche in der Pubertät wirken manchmal wie gelähmt. "Typisch Null-Bock-Generation", sagen die Älteren. Darüber klagen sie so oder so ähnlich schon seit Großvaterzeiten. Denn dass viele Heranwachsende erst einmal abbauen, bevor sie erwachsen und leistungsfähig werden, ist keine Erfindung der heutigen Zeit. Was für Eltern aussieht wie nervtötendes Schlaffitum, ist für Jugendforscher ein wichtiges Anzeichen wesentlicher Entwicklungsschritte der 13-, 14-, 15-, 16-Jährigen.
Neue Schaltstellen entstehen
In der Pubertät ist das Gehirn im Umbau. Während der ersten Lebensjahre eines Kindes haben sich unzählige Verbindungen zwischen Nervenzellen gebildet, die im späteren Leben nicht mehr gebraucht werden. Deshalb bauen sie sich im Alter zwischen zwölf und 17 ab, andere Verknüpfungen und Schaltstellen entstehen dafür neu. Diesen Entwicklungsprozess nennen die Wissenschafter "pruning", nach dem englischen Ausdruck für das Zurückschneiden von Ästen an Obstbäumen. Als Erstes reifen im jugendlichen Gehirn die Bereiche nach, die für Sprache und räumliches Denken wichtig sind. Erst ganz zuletzt, im jungen Erwachsenenalter, sind übergeordnete Bereiche im Stirnhirn dran: die Areale also, die für rationales Denken und vorausschauendes, überlegtes Planen zuständig sind.
Typisches Pubertätsverhalten - und was dahinter steckt:
- Pubertierende sehen montags um fünf nach sieben nicht nur so aus, sie sind tat-sächlich müder als Erwachsene. Das liegt an ihrem verzögerten Schlafrhythmus. In der Pubertät wird das Schlafhormon Melatonin verzögert gebildet. Deshalb kommen jugendliche Schläfer oft erst nach Mitternacht zur Ruhe und sind morgens unausgeschlafen.
- Pubertierende durchlaufen eine körperliche und seelische Entwicklung, die viel Kraft und Energie verbraucht. Unsere scheinbaren Schlaffis sind in Wirklichkeit rund um die Uhr beschäftigt: mit sich selbst, ihrer Stellung im Freundeskreis, dem emotionalen Abnabeln von uns Eltern, der Entdeckung von und dem Umgang mit Sexualität, der Veränderung ihres Körpers.
- Die Bereitschaft zu geistiger Leistung nimmt in der Pubertät ab. Dabei werden nicht nur die Noten mieser, es stagniert das gesamte Wissen auf einem Niveau, wie es bereits in den ersten Klassen weiterführender Schulen erreicht wurde. Erziehungswissenschaftler der Universität Hamburg haben in der so genannten Hamburger Lernen-Ausgangslage-Untersuchung (LAU) Schülerleistungen der Jahrgangstufen sieben bis neun in Englisch, Deutsch und Mathematik über Jahre verglichen. Das Ergebnis: Vor allem die Klassenbesten der siebten Klassen hatten bis zur neunten Klasse kaum etwas dazugelernt. Rückzug aus schulischen Angelegenheiten während der Pubertät ist normal, sagen Jugendforscher, in diesem Alter wächst - auch als ein Ausdruck der Abgrenzung gegen die Forderungen der Erwachsenenwelt - bei den meisten Jugendlichen die Distanz zur Schule.
- Der Abschied von der Kindheit bedeutet Abschied von alten Gewohnheiten. Kinder trennen sich von Spielsachen, Lieblingsspielen, Freunden, Gewohnheiten. Sie wollen Neuland betreten, die Erwachsenenwelt erobern. Das gelingt nicht von einem Tag auf den anderen. Jugendliche sind Suchende und befinden sich in einer Art Persönlichkeitsvakuum: Das Bekannte gilt nicht mehr, neue Inhalte, Verhaltensweisen, Fähigkeiten sind noch nicht gefunden und entwickelt.