Meine Generation war noch nicht so körperfixiert. Stimmt dieser Eindruck?
Seit Mitte der 70er-Jahre machen sich junge Menschen zunehmend Gedanken über Äußerlichkeiten. Eine relativ neue Entwicklung ist hingegen, dass sich Jugendliche vermehrt Schönheitsoperationen unterziehen. Neuen Umfragen zufolge ziehen in den USA bereits 30 Prozent aller Jugendlichen einen schönheitschirurgischen Eingriff in Betracht. Eine Frage der Zeit, bis solche Zahlen auch für Deutschland gelten, glaubt Dr. Burkhard Brosig, Mediziner und Psychotherapeut an der Uni Gießen. Constance Neuhann-Lorenz ist Ärztin für plastische und ästhetische Chirurgie. In ihre Münchner Praxis kommen 16-jährige Mädchen, die verschämt die Mutter rausschicken, damit sie der Ärztin ihren "kleinen Busen" zeigen können, mit dem sie sicher nie einen Freund kriegen werden. Oder 17-jährige Jungen, die der festen Überzeugung sind, ihre Nase sei zu groß, die Augen stünden zu eng, die Backenknochen säßen zu tief. Überflüssig zu sagen, dass selbst die Ärztin mit ihren geschulten Augen die vermeintlichen Probleme nicht sieht. "Vor zehn, 20 Jahren hatten wir bei Weitem nicht so viele Anfragen von Jugendlichen, die mit ihrem Aussehen unzufrieden sind", sagt sie.
Woher kommt das Bedürfnis, makellos schön zu sein?
Bei jeder Fernsehshow und bei fast jedem Illustriertenbild wird getrickst, retuschiert und manipuliert. Niemand sieht in Wirklichkeit so aus wie auf einem Hochglanz-Cover oder bei den MTV Music Awards. Leider führt die vermeintliche Makellosigkeit dazu, dass sich die eigene Messlatte verschiebt. Gerade bei jungen Menschen, die Medienbilder noch ungefiltert aufnehmen, entstünde schnell ein "Alle sind schön, nur ich nicht"-Eindruck, sagt Professor Bernd Guggenberger, Soziologe an der Berliner Lessing-Hochschule. Er macht eine "völlig verzerrte Wahrnehmung" für den steigenden öffentlichen Druck verantwortlich, gut aussehen zu müssen. "Schnelle Bildschnitte sorgen dafür, dass nicht genug Zeit bleibt, Cellulite, Fältchen oder Asymmetrien zu erkennen. Doubles von Po und Beinen und späteres Retuschieren am Computer helfen zusätzlich, das Bild der Vollkommenheit zu zelebrieren."
Wie soll ich reagieren, wenn mein Kind davon redet, dass es sich operieren lassen will?
"Wichtig ist zunächst einmal Verständnis", sagt die Psychologin Dr. Monika Dorfmüller, die sich seit vielen Jahren mit dem Schönheitskult bei Jugendlichen beschäftigt und sowohl verunsicherte Teenager als auch Eltern berät. "Sprechen Mädchen stundenlang über Push ups, Pickel oder Problemzonen, mögen ihre Probleme zwar objektiv lächerlich erscheinen – doch der subjektive Leidensdruck ist da." Als "Puddingzustand" bezeichnet die Psychologin die Pubertät: "Wer weder Kind noch Erwachsener ist, sich keiner Gruppe wirklich zugehörig fühlt, wird unsicher. Fragt sich ständig: Wie wirke ich auf andere? Und ist gewillt, sein angeknackstes Selbstwertgefühl durch angesagte Statussymbole wie Piercings und Designerklamotten zu kaschieren – oder auch durch Schönheits-OPs." Verständnis ist wichtig, findet auch Constance Neuhann-Lorenz: "Tatsache ist, dass Körper in dieser Phase nicht ganz ohne Grund Kummer machen." Da ist der bereits hoch gewachsene Körper mit dem noch kindlichen Gesicht. Die einst so niedliche Nase, die neuerdings dicklich erscheint. Schlackernde Arme, riesige Füße – irgendwie will das alles nicht so recht zusammenpassen.
Sollte ein 16-jähriges Mädchen sich denn operieren lassen?
"Pubertierende Körper befinden sich im Umbau", sagt Dr. Neuhann-Lorenz. Aus diesem Grund lehnt die Medizinerin Eingriffe bei unter 18-Jährigen ab – obwohl sie die ästhetisch-plastische Chirurgie generell für geeignet hält, Menschen zu helfen, die massiv unter ihrem Aussehen leiden. "Ich sage immer: Wegen Umbau geschlossen", erklärt die Chirurgin. "Erst einmal abwarten, was sich noch tut. Denn manches sieht nach dem letzten Wachstumsschub tatsächlich ganz anders aus, als man es für möglich hielt."
Aber es gibt auch solche Probleme, die tatsächlich nur ein Chirurg beheben kann: Wenn etwa ein Mädchens schon mit zwölf ein so genanntes "explosives Brustwachstum" hat und entsetzlich leidet, weil es ständig angestarrt wird. "Droht ein Kind in seiner psychosozialen Entwicklung gestört zu werden, kann das in Einzelfällen für eine OP sprechen", formuliert Dr. Neuhann-Lorenz vorsichtig. Übrigens: Gesetzliche Bestimmungen, bis zu welchem Alter ästhetisch-plastische Operationen verboten sind, gibt es nicht. Es gibt lediglich eine Empfehlung der EU, die lautet: keine Brustimplantate bei unter 18-Jährigen.
Ich achte selber sehr auf mein Äußeres. Wie kann ich meinem Kind klar machen, dass eine Schönheits-OP kein Weg zum Glück ist?
"Sicher nicht, indem man die kindliche Selbstkritik runterspielt und ihm einfach sagt, Schönheit sei nicht wichtig", sagt Psychologin Dorfmüller. Schon gar nicht, wenn man als Mutter selbst regelmäßig ins Solarium oder zur Maniküre geht und viel Wert auf sein Äußeres legt. Kinder seien sehr sensibel für solche unterschwelligen Signale. Den Knoten lösen kann mitunter, gemeinsam Medien-Klischees zu hinterfragen: Wie real sind TV-Stars? Wie echt die Bilder in den Hochglanzmagazinen?
Was Teenager oft nicht wahrhaben wollen – oder vielleicht auch einfach nicht wissen: Die scheinbar spontanen Momentaufnahmen sind Produkte höchsten Aufwands, stets begleitet von hoch bezahlten Stylisten, Friseuren, Visagisten, Lichtkünstlern. Argumente, die nicht ziehen? Dann empfiehlt Dr. Neuhann-Lorenz eine auf den ersten Blick ungewöhnliche Strategie: den gemeinsamen Gang zum ästhetisch-plastischen Chirurgen. "Ein seriöser Kollege wird klarstellen, was schönheitschirurgische Eingriffe in Wirklichkeit sind – nämlich Operationen. Und die sind immer mit Risiken verbunden. Es blutet, Nerven werden verletzt, es kann zu Entzündungen kommen." Verantwortungsbewusste Ärzte schauen sich das Anliegen der Jugendlichen genau an. Sie prüfen, wo das Problem liegt – und regen auch schon einmal an, ob die Kilos auf den Hüften nicht besser durch Sport zum Verschwinden gebracht werden können als durch eine OP.
Wann wird die ständige Selbstkritik meines Kindes krankhaft?
"Kommen zum stundenlangen Vor-dem-Spiegel-Stehen ständige schlechte Laune und Antriebslosigkeit hinzu, sollten die Alarmglocken läuten", sagt Monika Dorfmüller. Ein exzessives Sich-Beschäftigen mit der eigenen Schönheit könne auch ein Stellvertreterproblem sein – für schulische Sorgen oder eine versteckte Depression. Die beste Basis für ein Durchstehen der sensiblen Phase Pubertät ist Selbstvertrauen. Und das wächst durch Unterstützung. "Öfter mal den Druck rausnehmen und das Kind machen lassen", rät Burkhard Brosig. Seiner Erfahrung nach ist der kindliche Wunsch nach perfekter Schönheit nämlich nicht selten mit einem heimlichen Perfektionsdrang der Eltern verbunden.