Zum Hintergrund: Derzeit werden jährlich sieben bis acht von 1.000 der 15- bis 17-Jährigen schwanger, etwa vier von ihnen entscheiden sich für einen Abbruch. Ein Interview mit Professor Ulrike Busch, Professorin für Familienplanung an der FH Merseburg, Sexualberaterin und Familientherapeutin.
Welche Ursachen stehen meistens hinter Teenager-Schwangerschaften?
Zu den Gründen gibt es bisher noch keine ausreichenden wissenschaftlichen Studien. Wir können uns auf Erfahrungsberichte von Sexualpädagogen, Ärzten, oder Schwangerschaftsberatern stützen, kaum aber auf Befragungen der jungen Frauen selbst.
Man geht derzeit von drei Hypothesen aus: Eine Vermutung ist, dass viele Mädchen, die sich bei einer Schwangerschaft für das Kind entscheiden, persönliche Schwierigkeiten haben. Das können Probleme in der Schule sein oder in der Ausbildung; vielen fehlt es auch an Perspektiven für ihr späteres Leben.
Indem sie früh eine Familie gründen, wollen diese Mädchen ihrem Leben nicht selten einen Sinn und sich selbst eine Rolle geben. Das würde auch erklären, warum die Quote in den neuen Bundesländern so hoch ist. Dort sind die Chancen auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt ja besonders schlecht. Eine andere Hypothese ist, dass sich viele der jungen Mütter nach der Liebe und Geborgenheit sehnen, die sie in ihrer Familie eventuell nicht bekommen haben. Darum 'bauen' sie sich ihre eigene Familie, projizieren ihre Sehnsüchte auf das Baby.
Und drittens haben wir es mit einer kleinen Gruppe Jugendlicher zu tun, die früh sexuelle Erfahrungen macht und gleichzeitig mangelhaft verhütet. Manche dieser Teenager definieren sich durch Sexualität, aus unterschiedlichen Gründen: Sehnsucht nach Liebe, Prestige oder Macht spielen hier eine Rolle.
Erleben Jugendliche denn immer früher ihren ersten Sex?
Das durchschnittliche Alter, in dem Jugendliche erstmals Geschlechtsverkehr haben, hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten kaum verändert; es liegt relativ konstant bei 17 Jahren. Das heißt aber nicht, dass es in der Statistik nicht Bewegung gäbe, und zwar am oberen wie auch am unteren Ende. Während einige mit dem ersten Sex noch warten, gibt es einen zunehmenden Anteil, der schon sehr früh seine Erfahrungen macht. Rund 25 Prozent der 15-jährigen Mädchen in Deutschland hatten bereits Geschlechtsverkehr, sehr viel mehr als noch vor 20 Jahren. Übrigens haben die Jungs aufgeholt: Bei ihnen geben heute 18 Prozent der 15-Jährigen an, schon mal Sex gehabt zu haben.
Sie sprachen von mangelhafter Verhütung. Sind die Jugendlichen in Deutschland nicht ausreichend aufgeklärt?
Ein Problem ist, dass Aufklärung als reine Wissensvermittlung, wie sie etwa die Schule anbietet, nicht ausreicht. Abstrakte Erklärungen in zwei Unterrichtsstunden sind einfach nicht lebensnah, so wichtig gutes Wissen auch ist. Wenn die Jugendlichen Verhütungswissen wirklich brauchen, ist die Situation beim ersten Mal doch sehr anders: überraschend, spontan, aufregend - eben nicht wie im Lehrbuch. Ich denke, dass die Schulen noch mehr mit Sexualpädagogen zusammenarbeiten sollten. Einrichtungen wie Pro Familia können die Teenager auf dem Weg zu ihrer eigenen Sexualität auch emotional begleiten.
Welchen Beitrag können die Eltern leisten?
Hier stellt sich das Problem, dass die Teenager sich einer Ablösungsphase befinden und darum die Ratschläge der Eltern oft generell ablehnen. Man muss also aufpassen, dass man nicht das Gegenteil dessen bewirkt, was man erreichen wollte. Wenn zu den Kindern aber ein gutes Vertrauensverhältnis besteht, dann sollten die Eltern auch über erste Liebe und Sexualität mit ihnen reden. Es kann auch sinnvoll sein, sich selbst bei den Beratungsstellen Tipps zu holen; oft weiß man als Vater oder Mutter ja nicht so recht, wie man an das Thema herangehen soll.
Wenn es nun doch zu einer Schwangerschaft kommt - entscheidet sich die Mehrheit der Mädchen für eine Abtreibung?
Ja. Für die meisten Jugendlichen ist die Schwangerschaft ungeplant und auch ungewollt. Der Anteil der Abtreibungen liegt seit Jahren stets leicht über dem der Lebendgeburten, allerdings gibt es auch hier große Unterschiede, was Region und Alter betrifft. Berater berichten immer wieder, dass sich die Mädchen eher für einen Abbruch entscheiden, die bessere berufliche Chancen und klarere Zukunftsvorstellungen haben. Sie ziehen ihre berufliche Entwicklung zunächst einer Mutterrolle vor.
Gibt es ein gutes Betreuungsnetzwerk für die Mädchen, die sich für das Kind entscheiden?
Es gibt natürlich die Schwangerschaftsberatungsstellen unterschiedlicher Träger, etwa von Pro Familia oder der Arbeiterwohlfahrt. Das Problem ist jedoch, dass minderjährige Schwangere in keinen normalen Geburtsvorbereitungskurs passen. Sie haben spezifische Fragen, Probleme und Ängste. Insgesamt fehlt es vielfach an Begleitungen durch Ärzte, Hebammen und sozialen Einrichtungen, die auf die Bedürfnisse der jungen Mütter zugeschnitten sind. Sie könnten zudem noch besser vernetzt sein. Oft wissen die Mädchen einfach nicht, an wen sie sich wenden können.
Wie reagieren die jugendlichen Väter - stehen sie den Müttern bei?
Das ist sehr unterschiedlich. Viele Jungs sind mindestens genauso überfordert wie die Mädchen und entziehen sich ihrer Verantwortung. Andere wiederum halten fest zu ihrer Partnerin und sehnen sich ebenso nach einer kleinen Familie. Problematisch wird es oft, wenn nach der ersten Aufregung der Alltag kommt. Den Herausforderungen halten viele Beziehungen nicht stand, sie brechen auseinander, und die Mädchen bleiben mit dem Kind allein.
Wie sieht es mit der Ausbildung der Mädchen aus? Die meisten Schulen und Ausbildungsstätten sind ja überhaupt nicht auf junge Mütter vorbereitet.
Ja, das ist ein sehr heikler Punkt. Im Moment ist es so, dass es die meisten Teenagermütter nicht schaffen, nebenbei noch ihre Ausbildung zu beenden. Die Stundenpläne der Schulen sind nicht mit Tagesablauf junger Mütter zu vereinbaren, und eine Teilzeit-Ausbildung ist in Deutschland leider auch nur in wenigen Modellprojekten möglich. Hier müsste man flexibler auf die Bedürfnisse der jungen Frauen eingehen. Ein Problem dabei sind allerdings die geringen Zahlen: Denn auch wenn die Zahl der Teenagerschwangerschaften tendenziell steigt, ist sie absolut gesehen in den letzen Jahren so niedrig wie noch nie. In den 70er-Jahren lag die Quote der Teenager-Babys in der BRD noch bei 11,4 Prozent. Heute sind es gerade mal 3,4 Prozent. Und für 20 Mädchen beispielsweise in einem Bundesland wie Sachsen-Anhalt eigene Betreuungsprogramme einzurichten, ist sehr aufwändig.
Was sollte getan werden, damit diese Einzelfälle trotzdem nicht untergehen?
Jede Schwangerschaft ist mit vielschichtigen Problemen verbunden und bringt die Mädchen selbst, die Partnerschaften, die Familien aus der Balance. Das erfordert vernetzte, kontinuierliche Aktivitäten, nicht Kampagnen. Und die Eltern sollten ihre Töchter unterstützen, sie zu einer Entscheidung ermutigen, mit der sie leben können, und sich gegebenenfalls auch Rat in Beratungsstellen holen.