Früher stand hinter unserem Haus ein kleines altes hölzernes Spielhaus, in dem die Kinder aber kaum spielten, da sie sowieso die meiste Zeit an mir klebten. "Ist es okay, wenn wir euer Haus zum Hühnerstall umfunktionieren?“, fragte ich die beiden Großen. "Klar", war die schulterzuckende Antwort. Ob Nate, 7, und Chiara, 8, wussten, was das für Konsequenzen haben würde, ist fraglich, aber mit ihrer Erlaubnis machten wir uns an die Arbeit. Mit wir meine ich Bob, meinen Mann.
Bob ist in unserem Haus für alles zuständig, für das man Werkzeug braucht. Es gab mal eine Zeit, in der ich sehr wohl in der Lage war, meine eigenen Ikea-Möbel zu bauen, aber diese Zeiten sind lange vorbei. Einer der großen Vorteile der Ehe ist ja, dass man die Hälfte seines Fachwissens auslagern kann.
Für das Hühnerstall-Projekt bedeutete das: Ich bin der Chef, bestimme, wo der Stall stehen soll, und lasse den echten Mann die Arbeit machen. An den nächsten Wochenenden und an jedem freien Abend spielte Bob den Baumeister, während ich die Kinder babysitten und meinen Mann mit neuer Energie in Form von Essen versorgen musste.
Das erste Wochenende verlief entspannt. Die holländischen Großeltern waren gekommen, um unser Baby zu inspizieren. Oma half mir mit den Kindern, und Opa half Bob mit dem Hühnerstall.
Das zweite Wochenende war okay. Die Kinder immer noch begeistert von Dads neuem Projekt und eifrig dabei, unproduktiv zu helfen und im Weg herumzustehen.
Am dritten Wochenende wurde es langweilig. Es war kein Ende in Sicht. Das Wetter hatte den Schalter umgelegt und war von sommerlich warm auf winterlich kalt umgeschlagen. Gleichzeitig schalteten die Kinder in ihren Standardmodus und riefen alle drei Sekunden "Mama, Mama, Mama".
Am vierten Wochenende war ich schon etwas genervt. Bob hatte einen Riesenspaß mit der körperlichen Ertüchtigung und genoß das Draußensein. Ich kämpfte vergeblich darum, wenigstens ein paar Minuten ohne Kinderprogramm zu haben. Doch egal, wo im Haus ich mich versteckte – innerhalb von Sekunden wurde ich aufgespürt. Dass ich über diesen Umstand nicht meckern durfte, da ich ja die war, die Hühner wollte, schlug mir noch mehr auf die Laune.
Ich dachte, man sieht ein Huhn und verliebt sich sofort
Langsam machte Bob Fortschritte. Die Wände des Minihauses wurden gegen Kälte isoliert, die Plexiglasscheiben in die Fensterrahmen gesetzt und der Boden mit einem schicken Fischgrät-Parkett versehen – es gab die billigste PVC-Folie aus dem Baumarkt nur in diesem Muster. Auf den ersten Blick hatten es die Hühner jetzt schicker als wir.
Als das Haus fertig war, begann Bob mit den Arbeiten am Zaun, was noch mal zwei bis drei Wochen in Anspruch nahm. Aber schließlich hatte ich meinen Mann zurück, und die Hühner konnten kommen.
Mein Job war, die Tiere auszusuchen. In Europa gibt es über 180 Hühnerrassen, mit unterschiedlichem Gefieder, in verschiedensten Größen und Charaktereigenschaften. Das Einzige, was mich zunächst interessierte: die Farbe der Eier. Meine Vorstellung war folgendermaßen: Im Hühnerstall liegen grüne, blaue, weiße, braune, gelbe und rote Eier – und ich kann mich jeden Morgen wie ein Kullerkeks freuen, dass bei uns das ganze Jahr über Ostern ist.
Doch leider war Herbst, fast alles schon weggekauft und die Auswahl an Hühnerrassen nur noch dürftig. Wegen der durchgehenden Kinderbespaßung hatte ich keine Gelegenheit gehabt, vernünftige Recherche zu betreiben. Immerhin fand Bob einen Betrieb in Brandenburg, der uns noch mit ein paar Hühnern versorgen konnte.
An einem Freitagnachmittag war es endlich so weit. Ich packte die Kinder zu Hause ein, Bob kam direkt von der Arbeit zum Hühnerhof. Einzig Nate, unser Siebenjähriger, fehlte. Als Pragmatiker wollte er lieber auf ein Playdate: "Die Hühner kann ich ja morgen noch sehen."
Auf dem Weg zum Hühnerstall war ich aufgeregter als die Kinder. In meiner Naivität dachte ich, es sei wie einen Hund oder eine Katze aussuchen. Man sieht ein Huhn und verliebt sich sofort. Doch in der Realität sah es so aus: Die braunen, weißen und grau-weißen Hühner liefen kreuz und quer durch einen riesigen ehemaligen Pferdestall.
Als ich den Verkäufer nach der Eierfarbe fragte, meinte er achselzuckend: Die Weißen legen weiße Eier, die anderen braune. Normalerweise habe er auch andere Farben, aber diese Hühner seien schon weg. Nur einmal leuchteten seine Augen: "Am schönsten sind die Eier der Marans-Hühner, die sind dunkelbraun, richtige Schoko-Eier." Während ich noch versuchte, mir den Namen zu merken, um es später zu googeln, unterbrach er mich: "Also welche Hühner jetzt?" Chiara wünschte sich, wie immer ganz gerecht, von jeder Farbe eins. Der Verkäufer griff nach einem Holzzaun und sperrte damit ein paar Hühner in der Ecke ein. Mit einem beherzten Griff schnappte er sich zwei braune und ein grau-weißes Huhn und setzte sie in einen großen Umzugskarton. Dann scheuchte er ein paar weitere Hühner in die nächste Ecke, um noch ein weißes zu fassen zu kriegen.
Die Farbe der Eierschalen wird nicht durchs Futter beeinflusst, sondern allein durch die Gene des Huhns. Auch die Farbe des Gefieders liefert keinen Aufschluss über weiß, braun oder grün. Allein die Farbe der Ohrscheibe – das ist ein kleiner Punkt hinter dem Hühnerohr –gibt Hinweise. Ist die Ohrscheibe weiß, legt das Huhn weiße Eier. Ist sie rot, sind es braune oder grüne Eier.
Die Flügel bitte nur auf einer Seite stutzen
"Die weißen sind besonders schnell", sagte er noch – und das war eine Lektion, die wir eine Woche später selbst noch lernen würden, als nämlich genau dieses weiße Huhn ausbrach und wir in Nachbars Garten einbrechen mussten, um es wieder einzufangen. Am Schluss holte der Verkäufer ein Huhn aus dem Karton: "Zu Hause müsst ihr die Flügel stutzen. Wenn ich das mache, ist das verboten, aber wenn ihr das macht, ist es erlaubt", sagte er kopfschüttelnd, um zu unterstreichen, wie unsinnig er diese Regelung fand. Mit Profi-Griff spreizte er den Flügel mit seiner Hand und zeigte uns, wo wir schneiden müssen. „Ist wie Haare schneiden. Tut nicht weh."
"Also sollten wir zu Hause sofort beide Seiten beschneiden?" Wieder schüttelte der Verkäufer den Kopf: "Nein, nein. Nur eine Seite. Sonst kann das Huhn doch wieder fliegen. Wenn man nur eine Seite schneidet, dann bekommt es beim Abheben Schräglage und kann nicht weg."
Auf dem Rückweg saß ich dann allein mit dem Baby in meinem Auto – Chiara und Emilia, 3, wollten die Hühner begleiten. Ich genoss es, mal wieder meine Musik statt Kinderlieder zu hören, während bei Bob im Kombi das Chaos tobte. Emilia schrie, die Hühner gackerten, und Chiara bettelte, dass es McDonalds zum Abendessen gibt.
Als Bob sich umdrehte, um auf den hinteren Plätzen für Ruhe zu sorgen, verriss er kurz den Wagen. Nach einer Schrecksekunde ist kurz Ruhe –bis Chiara zaghaft anmerkt: "Du, äh, Papa, da sitzt ein Huhn im Kofferraum." Tatsächlich, eins der Hühner war bei dem Ruck aus dem Karton gehüpft. Fröhlich glucksend saß es auf dem Karton und blickte durch die Heckscheibe verträumt auf die vorbeiziehende Landschaft. Zum Glück blieb es dort sitzen, bis Bob schweißgebadet zu Hause ankam. Als wir den Kofferraum öffneten, schaute es uns neugierig an und ließ sich ohne Protest in den Stall tragen.
Nach dem anstrengenden Tag war es für alle Zeit, ins Bett zu gehen. Ich hatte vor, am nächsten Morgen früh aufzustehen, um bei einem Züchter die berühmten Grünleger zu kaufen. Auf meine grünen Eier wollte ich nicht verzichten.
Irgendwann hatten wir zehn Hühner. Anfangs suchten wir den Hühnerstall mehrmals am Tag ungeduldig nach Eiern ab. Doch es dauert ein paar Wochen, bis es endlich da war: das erste anfangs überraschend kleine Ei! Aber mit dem Alter der Hühner wuchsen dann auch die Eier.
Not-OP nach Fuchs-Angriff
Vor allem Chiara hat ihre neuen Spielgefährten ins Herz geschlossen. Ihr Lieblinshuhn Brauni wurde von ihr zur Königin erklärt. Brauni hat ihrerseits einen Narren an unser ältesten Tochter gefressen. Sobald Chiara ins Gehege kommt, hüpft Brauni zu ihr, lässt sich von Chiara auf den Arm nehmen und tragen.
Einmal konnte ich von meinem Fenster aus beobachten, wie Chiara den anderen Hühnern erklärte: "Brauni ist die Königin, ihr müsst alle auf Brauni hören." Als ein kleines, flinkes weißes Huhn, von den Kindern Flitzi getauft, Anstalten machte, Brauni zu picken und zu jagen, schnappte sich Chiara den Übeltäter und sperrte ihn in den Stall: "Wenn du nicht auf deine Königin hörst, musst du eine Auszeit nehmen." Geduldig blieb die strenge Hühnermama Chiara vorm Stall stehen. Nach zwei Minuten beugte sie sich zu Flitzi hinunter und fragte mit strenger Stimme: "Hörst du jetzt, oder musst du in der Auszeit bleiben?"
Die Lebenserwartung eines Huhns liegt zwischen fünf und zehn Jahren, bei guter Haltung kann ein Tier auch mal 15 Jahre alt werden. In der Tierindustrie werden Masthühner aber bereits nach 40 Tagen getötet –und Legehennen nach eineinhalb Jahren, wenn die Legeleistung nachlässt.
Leider dauerte es nicht lange, bis wir entdeckten, wie der Fuchs ums Gehege schlich. Wir klopften uns auf die Schulter, dass unser Zweimeter-Zaun offensichtlich unüberwindbar war. Einen Monat wiegten wir uns und das Federvieh in Sicherheit – bis wir eines Tages von wildem Gegacker aus dem Haus gerufen worden. Ein Huhn lag reglos am Boden, die anderen flatterten hysterisch herum, die Kinder kreischten: "Fuchs! Fuchs! Fuchs!" Als Bob die Tür zum Gehege aufriss, kletterte der Fuchs mühelos den Zaun hoch und verschwand zu den Nachbarn.
Das tote Huhn wurde im Wald begraben, und über das Gehege baute Bob einen Maschendraht. Ein weiteres Huhn war während des Angriffs gebissen worden und wurde von mir zum Tierarzt gefahren. Ich wollte den Kindern weitere Trauer ersparen. Ergebnis: Das Tier wurde unter Vollnarkose, inklusive Beatmung unter einer Maske, geröntgt, operiert und zugenäht. Kosten der Behandlung: 250 Euro. Ein neues Huhn hätte etwa zehn Euro gekostet.
Schön ist zu sehen, mit welcher Leichtigkeit die Kinder mit den Hühnern umgehen. Sie nehmen sie auf den Arm oder greifen unters Gefieder, um die Eier hervorzuholen. Wenn die Kinder mal wieder meckern, dass ihre Freunde etwas haben, was sie auch wollen, sage ich: "Dafür haben wir Hühner." Und auch heute noch, zwei Jahre später, sind die Hühner und die bunten Eier das Erste, was meine Kinder zeigen, wenn neue Freunde zu Besuch kommen. Und ich freue mich jeden Tag wieder wie ein kleines Kind über die bunten Eier im Stall, besonders die grünen.