Noras Tochter Sofia ist zehn Jahre alt und hat im letzten halben Jahr eine Freundschaft fürs Leben gefunden: mit ihrer Austauschschwester Noisette. Die Französin ist ebenfalls zehn Jahre alt und nimmt wie Noras Familie am Austauschprogramm der Organisation ALLEF Deutschland e.V. teil.
ALLEF hat sich bewusst darauf fokussiert, jüngeren Kindern im Alter zwischen acht und zehn Jahren ein Auslandsaufenthalt zu ermöglichen. Wenn die Kinder so jung in den Austausch gehen, hat das einige Vorteile. „Das ist dann ein komplett anderes Lernen", erklärt Nora. Kinder in dem Alter lernen die Sprachen spielerisch kennen und es fällt ihnen deutlich leichter, sich in eine neue Umgebung zu integrieren als zum Beispiel junge Erwachsene, die das erste Mal mit Mitte 20 länger im Ausland leben. Hinzu kommt, dass die Grundschüler:innen aus eigenem Antrieb und großen Interesse an anderen Kulturen heraus diesen Austausch selber wollen. „Es verbindet Familien auf Dauer. Weil es Vertrauen braucht", erklärt Nora.
Grund genug für Mama Nora und ihre Tochter Sofia beim Austausch mitzumachen – gesagt, getan: Erst kommt Noisette für ein halbes Jahr zu ihnen und danach will Sofia zu Noisette nach Frankreich.
Bewerbungsmappe, Interviews, Besuche: So arbeitet die Organisation
Um als Familie am Austausch der Organisation ALLEF teilnehmen zu können, gehört einiges dazu. Angefangen bei einer dicken Bewerbungsmappe, die unter anderem ein polizeiliches Führungszeugnis und Empfehlungsschreiben von befreundeten Familien enthält, über Bewerber-Interviews, die mit den Eltern und Kindern geführt werden, bis hin zu gegenseitigen Besuchen, wenn eine passende Familie gefunden ist. Wenn alles passt, gibt es eine unabhängige Zusage von beiden Seiten. „Und dann ging es direkt los.“
Direkt losgehen, das hieß, dass Noisette und ihr Vater an einem Freitagabend im August bei Noras Familie in der Nähe von Köln angekommen sind. Nora und ihre Familie haben Noisette aufgenommen wie ein weiteres „eigenes Kind“. Mit allem, was dazugehört: Ein Fahrrad für Noisette organisieren, ihr ein Zimmer herrichten, mit ihr kuscheln, wenn das Heimweh zwickt.
Regeln für fast jede Lebenslage

Damit die Emotionen, Heimweh und auch Überforderung in dieser neuen Situation nicht die Überhand gewinnen, hat „ALLEF eine Menge von kleinen Tipps, Tricks und Regeln aufgestellt. Unter anderem: Die Kinder dürfen keine Bücher in ihrer Muttersprache mitnehmen, keine Fotos, telefoniert wird in den ersten Monaten nur ein Mal in der Woche für eine bestimmte Zeit, und das „lieber morgens als abends, damit sie sofort vom Heimweh abgelenkt wird“, weiß Nora jetzt. Klingt erst einmal hart, hat aber gute Gründe.
Nora erzählt uns, dass sie am Anfang erstaunt waren, weil es für jede Lebenslage einen Tipp seitens der Organisation zu geben scheint. Aber: „Alle Regeln sind aus der Erfahrung heraus entstanden.“ Und machen dementsprechend viel Sinn, auch wenn es im ersten Moment nicht immer so scheint. Nach zwei Tagen direkt in die Schule zu gehen klingt am Anfang vielleicht etwas übereilt, sorgt aber dafür, dass die Kinder von Mitschüler:innen und neuen Einflüssen umgeben sind – und so schneller vom Heimweh abgelenkt werden. Außerdem können sie so von Anfang an dabei sein und legen einen enormen Lernfortschritt hin. Weil sie eben keine Ausweichmöglichkeiten haben und die neue Sprache und Kultur so wie von selbst kennenlernen.
Plötzlich Austauschmama – wie ist das?
Nora hat selber in jungen Jahren an dem Austausch von ALLEF teilgenommen und trotzdem waren die letzten sechs Monate ganz anders als das, was sie an ihren eigenen Austausch erinnert. Denn: „Jetzt bin ich plötzlich Austauschmutter. Und das finde ich noch anstrengender.“ Sie erzählt uns auch von kritischen Stimmen, die fragen, wie man das eigene Kind so lange wegschicken könne. Doch Nora erklärt, dass die Austauschschülerin ganz eng in die Familie integriert wird. „Sie ist wie dein Kind!“ Das mag zwar einfach klingen, aber es steckt noch viel mehr dahinter. Nora erzählt uns, dass sie anfangs Probleme hatte, eine Balance im Umgang mit Noisette zu finden, zwischen einem verständnisvollen Miteinander und „sie auch anzumeckern (…), wenn’s mal sein muss.“ Denn auch wenn Noisette innerhalb der Familie eine besondere Stellung einnimmt – sie wird behandelt wie das eigene Kind von Nora und ihrem Mann. Und das bedeutet auch, dass sie nicht bevorzugt oder priorisiert werden darf, erklärt Nora. Das sei ihr aber nicht immer leicht gefallen, gerade nach dem ersten Mal Anmeckern: „Ich hatte so Sorge vor der Reaktion. Ich hatte Sorge, dass sie ihre Koffer packt und geht.“
Jeder muss seinen eigenen Weg finden

Als Mama hat Nora ihren eigenen Weg gefunden, auch schwierige Situationen mit ihrem Austauschkind zu meistern. Das hat aber seine Zeit gebraucht – ungefähr dreieinhalb Monate lang, erzählt sie uns. Ihr Mann hat das früher gemeistert. Und ihre Kinder? Die haben Noisette von Anfang an aufgenommen, mit allem, was unter Geschwistern eben dazugehört: Einen gemeinsamen Alltag haben und zusammen spielen – aber auch Gerangel und sich hin und wieder auch mal streiten.
Und auch wenn Noisette kein Wort Deutsch konnte, als sie zu Nora und ihrer Familie kam, hat sie sich sehr schnell eingelebt. Im Gespräch war das Mädchen zu Beginn dabei: Zwar schüchtern, aber verstehen konnte sie alles. Aufgeregt sei sie am Anfang schon gewesen, erzählt sie, aber „erst hier“ – zu Hause in Frankreich noch nicht. Ihr Lieblingserlebnis in Deutschland? „Phantasialand!“
Mittlerweile ist Noisettes Zeit in Köln vorbei – aber die Verbindung zwischen der französischen und der deutschen Familie wird bestimmt noch lange bestehen bleiben.
Wenn du noch mehr über Nora und ihre Familie erfahren möchtest, kannst du ihr auf Instagram unter @nora.maite folgen. Sie nimmt ihre Follower:innen mit und berichtet von der Aufregung, von den ersten Tagen und der Entwicklung, die ihre Austauschtochter seitdem gemacht hat.