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Schulmisere "Da ist vieles schief gelaufen!"

Seit EF-Autor Michael Kneissler Elternrat ist, lernt er Missstände in der Schule kennen, die er niemals für möglich gehalten hatte. Seine Eindrücke und Erfahrungen hat er aufgeschrieben und darüber auch mit dem zuständigen Senatsdirektor gesprochen.

Eine Schule im Chaos

Seit knapp einem Jahr ist EF-Autor Michael Kneissler Elternrat in Hamburg und bekommt nun aus erster Hand mit, wie die Schulmisere sich auf den täglichen Unterricht auswirkt. Verhaltensauffällige Schüler, Gewalt und Übergriffe auf Mitschüler sind an der Tagesordnung. Hinzu kommen ein Mangel an Räumen und Lehrern, sodass nicht einmal die Pausenaufsicht gesichert ist. 
Im vergangenen Sommer haben die Hamburger in einer Volksabstimmung die von der schwarz-grünen Regierung geplante Schulreform gekippt. Seitdem herrscht Ratlosigkeit wie man den täglichen Herausforderungen begegnen soll. 
Über die Schulmisere in Hamburg sprach EF-Autor und Vater Michael Kneissler mit Senatsdirektor Norbert Rosenboom, 62, der in Hamburg verantwortlich ist für 400 Schulen, 16.500 Lehrer und 220.000 Schüler. Ein Gespräch über gescheiterte Reformen, gescheiterte Schüler und scheiternde Lehrer.

"Da ist vieles schief gelaufen"

Eltern family (EF):Nach der gestoppten Schulreform herrscht Chaos an Hamburgs Schulen. Wann wird sich die Situation normalisieren? 

Norbert Rosenboom:"Der verlorene Volksentscheid im letzten Jahr hat tatsächlich alles verändert. Unser erstes Ziel war es, den Schülern normalen Unterricht zu garantieren. Wir versuchen, die Schüler nicht merken zu lassen, dass wir das Schulwesen wieder neu starten mussten. Für diesen Prozess haben wir uns ein Jahr gegeben." 

EF:An unserer Schule besuchte das Lehrerkollegium erst einmal ein Seminar in Gewaltprävention und Selbstverteidigung. Ausnahme oder Regel? 

Rosenboom: "Dies ist eindeutig die Ausnahme. Intensivtäter, die regulär die Schule besuchen, sind sehr genau vorher überprüft worden. Wir haben jetzt Stadtteilschulen, in denen alle Schüler vom Hauptschulabschluss bis zum Abitur zusammengefasst sind. Da kommt es dann manchmal zu neuralgischen Gegensätzen. Auf der einen Seite gibt es – wie in Ihrem Fall ¬– ein Kollegium, das bisher nur Gymnasiasten unterrichtet hat, die von sich aus lernen wollten. In den neuen Stadtteilschulen kommen jetzt aber Haupt- und Realschüler dazu. Und plötzlich gibt es Kinder, die alles mögliche wollen, nur nicht lernen. Aber auch die müssen so gefördert werden, dass sie zu einem Abschluss kommen. Diese Umstellung ist eine pädagogische Herausforderung." 

EF: Einer der polizeibekannten Intensivtäter wurde im Rahmen einer Disziplinarmassnahme in die Klasse meines Sohnes versetzt – ohne dass wir Eltern etwas davon erfuhren. Richtig oder falsch? 

Rosenboom: "Wenn wir den Eltern sagen: Entschuldigung, wir hätten da ein schwieriges Kind für ihre Klasse – was glauben Sie, was das für Reaktionen auslöst. Da denken doch alle: mein Kind ist in Gefahr. Wir haben mehr Erfolg damit, dies nicht im Vorwege bekannt zu geben. Aber Sie haben Recht: als Vater würde ich das auch anders sehen." 

EF: Meine persönliche Meinung ist, dass in der Schule größtmögliche Offenheit notwendig ist, auch in heiklen Situationen. 

Rosenboom: "Wir wollen ja nicht aktiv verschweigen. Wir stehen zwischen Täter- und Opferschutz. Wir wollen, dass der Täter die Chance bekommt, noch einmal etwas zu verändern. Deshalb der Schulwechsel, deshalb eine besondere Betreuung, deshalb klare Verhaltensregeln und deshalb Beobachtung." 

EF: In der Klasse meines Sohnes gab es einen schweren Gewaltvorfall. Für die Täter gab es neben der Disziplinarstrafe auch ein sozialpädagogisches Angebot. Für das Opfer nichts. 

Rosenboom: "Das geht gar nicht. Nach einer Gewalttat steht neben der Verfolgung der Täter für uns die Opferbetreuung im Vordergrund. Das ist ein fester Grundsatz. Normalerweise kommt ein Mitarbeiter unserer Gewaltprävention an die Schule und sagt, wie es zu laufen hat. Die Schule hat gar nicht die Wahl zu sagen: Ich möchte die Täter nicht diskriminieren. So wie Sie das schildern, ist die Sache grundfalsch gelaufen. Es geht auch nicht, dass sich niemand um das Opfer kümmert. Und Opfer ist in meinen Augen nicht nur der verprügelte Schüler, sondern die ganze Klasse, die dies miterleben musste und dadurch traumatisiert ist." 

EF: Eine Folge dieser Gewalthandlung war, dass ein Jugendpolizeibeamter in die Klasse kam. Der Beamte kam allerdings nicht in Uniform... 

Rosenboom: "In Deutschland ist es eigentlich so, dass jeder Polizeibeamte Straftatbestände verfolgen muss, egal unter welchen Umständen er davon erfährt. In den Niederlanden haben die Polizisten einen Ermessensspielraum. Wir in Hamburg haben daraus eine Mischform gemacht. In den normenverdeutlichenden Einzelgesprächen mit Schülern tragen Beamte Uniform, um den Ernst der Lage klar zu machen. In den Gesprächen mit einer Gruppe oder Klasse macht man das unter Umständen in zivil, um den Schülern die Möglichkeit einer freien Aussprache zu geben. Da wird der Polizeibeamte zum Pädagogen." 

EF: Als ich im Unterricht hospitieren wollte, wurde ich wochenlang hingehalten. Es hieß, der Persönlichkeitsschutz des Lehrers gehe vor, ohnehin sei dies nur eine Kann-Bestimmung. 

Rosenboom: "Falsch. Das Gesetz erlaubt den Eltern ganz klar, in die Klasse zu gehen, sich die Stunde anzuschauen und wieder raus zugehen. In der Praxis ist es aber leider so, dass Lehrer, wie jede andere Berufsgruppe auch, gerne unbeobachtet bleiben. Das ist auf Grund persönlicher Ängste von Lehrkräften verständlich, aber in Wirklichkeit absurd: ein Lehrer, der ständig beurteilt, möchte nicht selbst beurteilt werden!? Schule funktioniert nach unserer Vorstellung in Hamburg aber nur, wenn Lehrer, Schüler und Eltern gemeinsam daran arbeiten, das hinzukriegen. Wenn da ein Gruppe nicht mitmacht, ist das problematisch. Dann wird es das alte Lernverhältnis der Disziplinaranstalt." 

EF: Das scheinen manche Lehrer sich zu wünschen. 

Rosenboom: "Kluge Lehrer haben ständig Eltern hinten sitzen. Was glauben Sie, wie das die Klasse beruhigt und den Unterricht vereinfacht! Und denjenigen, die nicht so klug sind, das selbst zu erkennen, müssen wir die Zukunft verdeutlichen." 

EF: Wie sieht die Zukunft denn aus? 

Rosenboom: "Die Zukunft wird so sein, dass Schule, Eltern und Lehrer die Aufgabe der Erziehung gemeinsam gestalten. Das bedeutet: Alle sind irgendwie am Unterricht beteiligt. Unterricht ist keine Lehrerveranstaltung mehr."
Interview: Michael Kneissler

Schreiben Sie uns!

Bildung ist Länderhoheit und wenn ein Hamburger Vater über die katastrophale Situation in der Schule seines Sohnes berichtet, muss das in Niedersachen, Nordrhein-Westfalen oder im Süden der Republik niemanden aufregen und interessieren. Oder doch? Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Schulsystem in Ihrem Bundesland? Berichten Sie uns über gute wie schlechte Erlebnisse, über geglückte Konzepte aber auch über katastrophale Zustände. Schreiben Sie uns hier Ihre Geschichte per Email an userkommentare@eltern.de oder tauschen Sie sich in unserem Schulforum zu diesem Thema aus.

Diese Erfahrungen haben unsere User gemacht:

Gewalt und Diebstahl schon in Grundschulen
von Mirjam Gruneberg
 
Meine Tochter besucht die 3. Klasse einer Grundschule. Vor kurzem hat unsere Klassenlehrerin zu einem Elternabend einladen müssen, da die Schüler unserer Klasse zu Gewalt und Diebstahl neigen. Da auch ich Elternsprecher bin, war ich über die Sache informiert und echt gespannt wieviele Eltern dieser Einladung folgen würden. In der Regel kommt nicht mal die HÄLFTE der Eltern. Aber diesmal war es anders. Bei der Frage, was zu machen, war ich angenehm überraschte. Aber bis auf zwei Muttis die sich wirklich Sorgen machen, kam von dem Rest nichts gescheites. Wir haben leider viele Kinder aus sozial schwachen Verhältnissen in dieser Klasse und auch wenn ich weiß, dass das nichts über den Geisteszustand aussagt, da jeder von uns in diese Lage geraten kann, so ist es bei uns leider so, dass beides zusammenkommt. Unsere Klassenlehrerin ist Gott sei Dank noch eine von den Lehrern, die sich für die Kinder einsetzt und hilft, wo sie kann. Leider wird sie aber auch oft vor den Kopf gestoßen. Sie hat z. B. auch einen Polizeibeamten in die Klasse eingeladen, nur leider war es so ähnlich wie in dem Bericht von Herrn Kneissler. Der Polizist hat das Thema verallgemeinert, so dass die Kinder gar nicht begriffen haben, dass es dabei um sie geht. Sehr schade!
Nun denkt man immer, dass Gewalt oder Diebstahl nur von den Jungen aus geht, aber weit gefehlt! Auch die Mädchen nehmen sich da leider nichts. Sie prügeln sich vielleicht nicht, aber sie tragen ihre Sachen verbal aus und das auf dem schlimmsten Niveau. Und sie beklauen sich, der Neid ist warscheinlich zu groß. Der Elternabend hat zum Schluß gar nichts gebracht. Nach einer Stunde sinnloser Diskussionen habe ich dann gesagt, dass mich dieser Abend nicht befriedigt, denn es wurden keine Lösungen gesucht, sondern es gab fast nur gegenseitige Schuldzuweisungen. Und das finde ich, kann nicht der richtige Weg sein. Ich bin auch nach wie vor der Meinung, wenn man mit den Kindern vernünftig über dieses Thema spricht und gerade die Eltern deren Kinder sich in der Wolle haben versuchen sich auf einer normalen Ebene zu unterhalten, ruhig auch mit den Kindern gemeinsam, wenn Kinder sehen, dass die Erwachsenen trotz des Problems ruhig bleiben, dann kann man manches klären. Aber leider wird das wohl ein Wunsch meinerseits bleiben. Ich finde nur Kinder in dem Alter kann man noch leiten und ihnen den besseren Weg zeigen. Ich denke bei Teenagern wird das schon schwieriger. Umso wichtiger wäre es, im Kindesalter dem ganzen entgegen zu wirken.
 
Vorbildlicher Umgang
von B. Behnen
 
An der Schule meines Sohnes - eine additive Gesamtschule in Hessen - wurde vorbildlich mit Störungen umgegangen. Die Schule hatte vor einigen Jahren noch den Ruf, dass es viele gewalttätige Auseinandersetzungen gebe, weswegen viele Mittelschichtseltern sie nicht auswählten. Darüber kann ich nichts Näheres sagen, mein Sohn ist jetzt erst in Klasse 5. Aber bevor wir uns für diese Schule entschieden, hatte sie bereits ihren Ruf vebessert. Nach eigener Darstellung hatten sie das Problem mit viel Konsequenz und Zusammenarbeit mit der Polizei - die hier sehr wohl auf Strafanzeigen besteht - bearbeitet. Aus Erfahrung jetzt in der Klasse meines Sohnes habe ich erlebt, dass tatsächlich mit Konsequenz, aber nicht nur, sondern auch mit Verständnis, reagiert wurde.
Ein Junge war mehrmals durch recht erhebliche Gewalttätigkeit aufgefallen. Nachdem ein erstes "normales" Einwirken auf ihn nicht ausreichte, wurde er erstens von der bevorstehenden Klassenfahrt aus Sicherheitsgründen ausgeschlossen, zweitens wurde mit Hilfe der Schulpfarrerin ergründet, welches Problem er hatte: Er fühlte sich von den anderen ausgegrenzt, was ihn sauer machte, was die anderen veranlasste, ihn auszugrenzen. Mit der Klasse wurde daran gearbeitet, ihm eine neue Chance zu geben, mit ihm, dass er sie ohne Gewalttätigkeit nutzen sollte. Die Eltern der Klasse wurden darüber informiert, uns wurde die Sicherheitsmaßnahme mitgeteilt, aber auch die Notlage des Kindes. Auch, um die Eltern dafür zu gewinnen, ihre Kinder nicht gegen den Jungen aufzubringen. Im Gegensatz dazu hatte die Grundschule, in der der Junge zuvor auch gemeinsam mit meinem Sohn war, auf denselben Konflikt (meiner und meines Sohnes Wahrnehmung nach) nicht reagiert und so zu seiner Eskalation beigetragen. Mittlerweile, nach wenigen Wochen schon, ist der Junge wesentlich besser integriert und nach Aussagen meines Sohnes und der Mitschüler, die ich kenne, sehr bemüht, nicht gewalttätig zu sein. Er war einige Male bei uns zu Besuch und hat sich tadellos verhalten.
Für das bevorstehende Schuljahr haben sich genügend Eltern für diese Schule entschieden, um eine weitere Gymnasialklasse zu eröffnen. Offenbar braucht man keine prominente Rütli- Schule zu sein, sondern vielleicht nur eine ehrgeizige, engagierte Dorfschule, um aus einer "Problemschule" eine erfolgreiche Schule zu machen.
 
Lehrer? Pauker trifft es eher!
von Karin Anhamm
 
Ich habe 4 Kinder: drei auf einem Gymnasium, ein Kind in der Waldorfschule. Ich bin seit meine älteste Tochter in die Schule gekommen ist, im Elternbeirat tätig. Jetzt bin ich Elternbeirat einer 8. Klasse und Mittelstufensprecherin auf dem Gymnasium. Wir haben eine Privatschule mit kirchlicher Trägerschaft gewählt, in der Hoffnung, dass dort einiges besser läuft als an staatlichen Schulen.
Aber wir haben uns leider getäuscht. Manchmal bereue ich es in der Elternarbeit aktiv zu sein, manche Dinge möchte ich eigentlich gar nicht wissen. Einige Geschichten, die die Kinder mit nach Hause bringen, sind ja ganz lustig. Andere treiben einem die Tränen in die Augen. Gestern hat mein Sohn erzählt, er dürfe seine Haare im Unterricht nicht mehr schütteln. Er hat diese Modefrisur, die ab und zu mal in Form geschüttelt werden muss. Sein Biologielehrer meint, er ist ja ein Junge und kann nicht zwei Sachen gleichzeitig tun. Wenn er also seine Haare schüttelt, kann er sich nicht auf den Unterricht konzentrieren!!!!! Nach der Grundschule war er eigentlich hoch motiviert auf das Gymnasium gegangen. Jetzt ist noch nicht einmal ein Schuljahr vorbei und er hat an nichts mehr Spaß. Die Lehrer an der Schule sind überhaupt nicht in der Lage (oder interessiert) die Schüler für etwas zu begeistern. Jeder Lehrer macht sein Ding, manchmal habe ich das Gefühl sie haben regelrecht Narrenfreiheit. Schüler dürfen beleidigt und erniedrigt werden, ohne Konsequenzen. Es wird stumpf Wissen in die Kinder gestopft, ob es hängen bleibt oder nicht, interessiert sie nicht. Es gibt natürlich auch gute Lehrer an der Schule, nur haben meine Kinder die leider nicht.
Ich habe immerhin erreicht, dass sich Kleinigkeiten ändern, aber es kostet viel Kraft und Zeit. Meine 15 jährige Tochter wechselt jetzt auf ein staatliches Gymnasium, die Hoffnung stirbt zuletzt!
 

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