Woher kommt dieses fehlende Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten? Zu verinnerlichen, dass man alles schaffen kann, egal zu welchem Geschlecht man sich zählt, beginnt im Kopf. Kinder brauchen Vorbilder wie Eltern, Großeltern, Tanten, Onkel oder Lehrer:innen, die ihnen zeigen, dass sie alles erreichen können. Stereotype sollten bei der Kindererziehung und im Bildungsbereich keinen Platz haben. Denn Mädchen sind durchaus in der Lage mathematische Rechnungen zu lösen und Jungs können ebenso geschickt mit einer Nadel umgehen – das Geschlecht ist dabei zweitrangig.
Studie zeigt: Mädchen halten sich bei Schulmisserfolgen für untalentiert
Leider sieht die Realität noch immer anders aus. Die Studienautor:innen nutzten für ihre Untersuchung die Pisa-Studiendaten aus dem Jahr 2018. Bei dieser Befragung werden alle drei Jahre die schulischen Fähigkeiten von 15-jährigen Schüler:innen weltweit untersucht. 2018 wurden dabei erstmals mehr als 500.000 Teenager mit einer zusätzlichen Frage konfrontiert: „Wenn ich scheitere, fürchte ich, dass es daran liegt, dass ich nicht genügend Talent habe.“
Ergebnis: In 71 von 72 untersuchten Ländern neigten Mädchen auch bei gleich guten Schulleistungen wie die Jungen dazu, von ihrem Misserfolg auf ein fehlendes Talent zu schließen. Jungen hingegen machten eher äußere Umstände für den Misserfolg verantwortlich.
Mädchen werden nicht mit einer schlechten Selbsteinschätzung geboren – sie werden so erzogen
Paradoxerweise sei diese Tendenz in den Ländern am stärksten vertreten, in denen ein hohes Maß an Gleichberechtigung herrscht und Mädchen mit sehr guten schulischen Leistungen besonders ausgeprägt sind, heißt es in der Untersuchung, die im "Science Advances" erschienen ist. In den wohlhabenden Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) stimmten der Aussage 61 Prozent der Mädchen zu und 47 Prozent der Jungen. In Ländern außerhalb der OECD war der Unterschied ebenfalls vorhanden, mit acht Prozentpunkten Differenz aber deutlich geringer.
Mädchen werden nicht mit einer schlechteren Selbsteinschätzung oder Zweifeln an sich selbst geboren – ihnen wird es systematisch beigebracht. Wird der Tochter nicht zugetraut, beim Fußball mithalten oder beim Werkeln einen Nagel ins Brett schlagen zu können, dann wird sie verinnerlichen, dass man ihr Dinge, die sie noch nie ausprobiert hat, per se nicht zutraut. Noch immer gelten Jungs unterbewusst als die klügeren Köpfe, trotz identischer Leistungen. In Physik, Mathe und Informatik – früher den Jungs zugeschriebene Fächer – sind die Mädchen mittlerweile auf Überholkurs.
Kinder brauchen Vorbilder, um Gleichberechtigung verinnerlichen zu können
Eine eindeutige Erklärung für den Geschlechterunterschied in der Selbsteinschätzung liefern die Daten der Pisa-Studie nicht, so der Co-Autor Thomas Breda zur Nachrichtenagentur AFP. Diese Tendenz sei in der Vergangenheit ebenfalls beobachtet worden, etwa beim Selbstvertrauen und bei der Wahl des Studiengangs.
Das geringe Vertrauen in sich selbst bleibt bei den Mädchen nicht ohne Folgen. Nach Angaben der Autor:innen träten sie insgesamt weniger selbstbewusst auf und scheuten den Wettbewerb mit anderen. Das Ergebnis: Sie arbeiten später seltener in angesehenen und gut bezahlten Berufen.
Genialität hat nichts mit dem Geschlecht zu tun, aber sehr viel mit dem Vertrauen in sich selbst und die eigenen Fähigkeiten. Erwachsene müssen daher als Vorbilder vorangehen und ihren Kindern die Zukunft in Aussicht stellen, die sie verdienen – eine Welt, in der das Geschlecht endlich eine untergeordnete Rolle spielt. Erfolgreich sein bedeutet auch, scheitern zu dürfen und aus seinen Fehlern zu lernen.
Verwendete Quellen: "Science Advances" science.org, spiegel.de, zeit.de