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G 8 Im Dauerstress zum Abitur

Statt früher in neun machen Gymnasiasten jetzt bereits nach acht Jahren das Abitur. Der Preis dafür ist hoch. Muss das so sein, fragt ELTERN family-Autorin Anke Leitzgen.

Die Schulen müssen sehen, wie sie zurecht kommen

Den Inhalt eines randvoll gefüllten, großen Glases schüttet man besser nicht in ein kleineres Glas - falls doch, geht etwas daneben. Im übertragenen Sinn passiert genau das beim sogenannten G 8: Die Kultusminister haben die Zeit bis zum Abitur auf zwölf Jahre verkürzt, aber die alte Pflichtstundenzahl beibehalten. Wie das zu bewerkstelligen ist, hat man den Schulen überlassen, und viele versuchen es so: Fünfte und sechste Klasse 30 Wochenstunden, siebte 32, achte 34, neunte 36. Das bedeutet ein- bis dreimal pro Woche Nachmittagsunterricht, dazu mancherorts auch am Samstag Schule.

Gelungene Lösungen sehen anders aus! Fragt sich: Warum muss das sein? Warum kann die Pflichtstundenzahl nicht einfach gesenkt, der Stoff ein bisschen gekürzt werden?

Dahinter verbirgt sich ein Stück bildungspolitische Geschichte: In der DDR wurde nach zwölf Jahren Abitur gemacht. Thüringen und Sachsen wollten das auch nach der Wende beibehalten. Das durften sie - aber nur mit der Auflage, die Pflichtstundenzahl zu erhöhen. Und zwar genau auf das Maß, das die Kultusministerkonferenz (KMK) bereits in den 70er Jahren festgelegt hatte: Danach ist "ein Gesamtstundenvolumen von mindestens 265 Jahreswochenstunden ab Jahrgangsstufe 5 bis zum Erwerb der allgemeinen Hochschulreife" Pflicht, und zwar neun Jahre lang.

Zu viel Stoff in zu wenig Zeit

Die Chance, moderne Lehrpläne zu gestalten, wurde verpasst

Entsprechend mussten in Sachsen und Thüringen die 265 x 9 Stunden auf acht Jahre verteilt werden, um das Abi nach zwölf Jahren machen zu dürfen! Dieser Schlüssel gilt nun bis heute überall dort, wo die 13. Klasse wegfällt.

Für die Kinder bedeutet das Lernen im Turbogang, und das beurteilt der Bielefelder Sozialwissenschaftler Professor Klaus Hurrelmann kritisch: "Halbtagsunterricht mit fünfmal sieben Stunden in der Woche ist aus lernpsychologischer Sicht unsinnig. Bei unserem traditionellen Vormittagsunterricht mit fünf- bis sechsmal vollgestopften 45 Minuten bleibt schon so nicht viel in den Köpfen hängen. Mehr davon bringt noch weniger."

Zu dieser Einschätzung passt auch die Kritik, die Lehrer, Eltern und Schüler am Modell des G 8 haben: Die Kinder seien enorm unter Druck, die Schule belaste die Familien bis in die Ferien hinein, es bleibe keine Zeit mehr für Hobbys.

Aber das Rad zurückdrehen? Nein, sagt auch Klaus Hurrelmann: "Grundsätzlich befürworte ich die Umstellung, weil wir Deutschland damit in die international üblichen Zeitabläufe eingliedern. Aber ich ärgere mich über die Art der Verwirklichung. Im Prinzip wurde lediglich der Stoff verdichtet und damit die Chance verpasst, moderne Lehrpläne zu gestalten, in denen nicht länger jedes Detail festgelegt wird."

Entrümpeln der Lehrpläne heißt also das Stichwort, wenn es darum geht, die derzeit acht harten Jahren am Gymnasium in eine angenehmere Schulzeit zu verwandeln.

Die Chancen dafür stehen gut! Einige Bundesländer, Hessen und Saarland voran, gehen bereits in die Offensive. Noch handelt es sich um politische Wortgefechte zwischen den Parteien, aber die Eltern fordern zunehmend Taten.

Bis sie bundesweit folgen werden, sind die Integrierten Gesamtschulen die Gewinner: Dort bleibt alles beim Alten. Sie dürfen weiterhin in neun Schuljahren aufs Abitur vorbereiten.

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