Seit ich zwei Kinder geboren habe, schaue ich anders auf Filmszenen, in denen Frauen Babys bekommen. Sie liegen im Bett, die Beine dezent mit einem Tuch bedeckt, unter das nur der:die diensthabende Geburtshelfer:in schaut. Als handele es sich um eine Theatervorstellung für ausgewählte Menschen. Das Problem wird schon an der Sprache deutlich. Die Frauen „liegen in den Wehen“ und „werden entbunden“. Unsere Vorstellung von einer Geburt ist: liegend. Wie sollen wir es auch besser wissen? Die wenigsten sind bei einer Geburt dabei, bis sie selbst Kinder auf die Welt bringen.
Die anatomisch sinnvolle Haltung
Im Geburtsvorbereitungskurs wurde mir das erste Mal bewusst, dass es anders geht. Und alternative Geburtspositionen anatomisch der sinnvollere Weg sind. Die Hebamme hatte ein Modell des weiblichen Beckens dabei und ein lebensechtes Stoffbaby, das sie vor unseren Augen hindurch schob. Sie deutete auf die Wölbung des Steißbeins und erklärte: Wenn wir auf dem Rücken liegen, zeigt das Steißbein in Richtung der Decke. Der Kopf des Babys, der gerade noch nach unten schob, um hinauszukommen, muss wieder nach oben. Gegen die Schwerkraft. Sind wir jedoch in einer halbwegs aufrechten Geburtsposition, also sitzend, hockend oder kniend im Vierfüßler, ist der natürliche Verlauf des Steißbeins: nach unten zeigend. Der Kopf kann ungehindert hinaus.
Ich fand das eine unglaubliche Erkenntnis. Den Vierfüßlerstand kannte ich nur aus dem Yoga und eigentlich konnte ich mir nicht vorstellen, in dieser Position mein Kind zu bekommen. Aber ich war bereit, es zu versuchen. Als ich zum Vorbereitungsgespräch im Krankenhaus war, ließ ich in meiner Akte vermerken, dass ich dafür offen bin.
Die erste Geburt: in Rückenlage
Es kam anders. Überwältigt von der ersten Geburt, bestand ich natürlich nicht auf irgendwelche Positionen. Unter Stress fallen wir in bekannte Muster zurück. Kurz vor der sogenannten Austrittsphase, also bevor das aus Filmen bekannte Pressen losging, wurde ich in den Kreißsaal geführt, direkt auf das Bett zu. Hinlegen und pressen bitte!
In der aktuellen Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. sowie der Deutschen Gesellschaft für Hebammenwissenschaft lautet die Empfehlung: "Die Gebärende soll dazu angehalten werden, die Rückenlage in der Austrittsphase zu vermeiden. Sie soll motiviert werden die Position einzunehmen, die sie als angenehm empfindet.“ Es sei anzunehmen, dass dadurch für die Mehrzahl der Gebärenden ein Nutzen bestehe. Bekannte Nachteile der Rückenlage sind zum Beispiel:
- Durch den Druck von unten auf das Steißbein verkleinert sich dein Beckenausgang.
- Dein Baby muss gegen die Schwerkraft arbeiten.
- Das Gewicht von Baby und Plazenta drücken auf deine Gefäße. Es kann zu Kreislaufbeschwerden kommen.
- Außerdem kannst du dich weniger bewegen. Das verschlechtert die Blutversorgung der Gebärmutter und damit die Sauerstoffversorgung des Babys.
Natürlich hat auch die Rückenlage ihre Vorteile. Du kannst dich in den Wehenpausen besonders leicht entspannen. Für langwierige Geburten ein entscheidender Faktor.
Ich hatte Glück, meine erste Geburt verlief ohne Komplikationen oder Verletzungen, meinem Baby und mir ging es gut. Dafür bin ich dankbar. Aber ich fühlte mich ausgeliefert und irgendwie passiv. Und ja, auch der verpönte Kristeller-Handgriff kam zum Einsatz (ein plötzlicher Druck auf den Bauch, um dem Baby nachzuhelfen). Erst nach meiner zweiten Geburt verstand ich, wie sich Gebären auch anfühlen kann. Kraftvoll und aktiv.
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Bárbara Aviz
Die zweite Geburt: im Vierfüßler
Auch dieses Mal wurde ich zum Bett geführt. Doch ich konnte mir absolut nicht vorstellen, mich dort auf den Rücken zu legen. Ich kniete mich auf das Bett und verlangte, dass die Lehne hochgestellt werde, damit ich mich abstützen könne. Ich weiß nicht, woran es lag, dass ich so selbstbestimmt meiner Intuition folgte. Aber es fühlte sich gut an. Die Gebärende hat das Sagen (sofern medizinisch nichts dagegenspricht).
Das Problem war: Der Raum und das Bett waren gar nicht dafür vorgesehen, dort anders als liegend ein Kind zu bekommen. Die Lehne ließ sich kaum aufrichten. Ich brauchte aber eine erhöhte Stütze für meine Hände, der reine, tiefe Vierfüßlerstand war nicht das Richtige für mich. In manchen Kreißsälen gibt es lange Stoffschlingen, die von der Decke hängen. Früher habe ich mich gefragt, was man mit diesen Zirkusutensilien soll. Jetzt hätte ich mich gerne in so etwas hineingehängt. Mein Mann musste dann als Stütze einspringen.
Den Vorteil dieser Haltung spürte ich sofort. Mein Becken fand automatisch in seinen Rhythmus, ich blieb beweglich und flexibel. Ich wurde nicht entbunden, ich gebar.
Die Hebamme sagte hinterher zu mir. "Das war ja eine Geburt wie aus dem Bilderbuch.“ Eben nicht. Im Buch oder Film hätte ich wahrscheinlich auf dem Rücken gelegen. Ich wünsche mir, dass Geburten vielfältiger dargestellt werden. Mit Frauen in der Hocke oder im Vierfüßler.
Natürlich soll niemand sich gedrängt fühlen, eine aufrechte Geburtsposition einzunehmen. Meine Erfahrungen sind subjektiv. Die Rückenlage hat ebenso ihre Berechtigung wie andere Positionen. Entscheidend ist, wie sich die Frau wohlfühlt und was für den Geburtsverlauf in dem Moment passt. Ich wünsche mir nur, dass wir Frauen selbstbestimmt aus den zur Verfügung stehenden Geburtspositionen wählen, weil wir sie kennen – und dazu ermutigt werden.
"Freie Bewegung während der Geburt, das klingt so selbstverständlich, dass es beschämend ist, dass wir heute noch immer dafür kämpfen müssen“, schreibt die Hebamme Tara Franke in der Deutschen Hebammen Zeitschrift. Ihrer Erfahrung nach sind es nämlich oft Ärzt:innen, die ihre Patientinnen bevormunden und denen die Rückenlage am liebsten ist. "Die freie Wahl der Gebärhaltung als eine Möglichkeit der Selbstbestimmung und Kontrolle trägt für viele Frauen zu einem positiven Geburtserlebnis bei", schreibt sie.
Vor dieser zweiten Geburt machte ich einen Geburtsvorbereitungskurs für Frauen, die bereits Mütter sind. Die Hebamme fragte in die Runde, wer sein erstes Kind im Knien, Sitzen oder Hocken bekommen habe. Keine Reaktionen. In Rückenlage? Alle Hände gingen hoch.
Nützliche alternative Geburtspositionen
Hier sind einige alternative Geburtspositionen, die du kennen solltest. In der Regel bringst du in diesen Positionen die Geburt aktiver voran und hast auch noch Hilfe durch die Schwerkraft:
- In der Hocke: In der tiefen Hocke sitzt du auf deinen Fersen. Oder hältst dich an einer Sprossenwand fest, sofern es eine gibt. Der Kontakt deiner Füße zum Boden stabilisiert deinen Rücken und du hast mehr Kraft zum Pressen. Außerdem vergrößerst du in dieser Haltung deinen Beckenausgang. Du optimierst die Geburtsachse und verkürzt den Geburtsweg für dein Baby. Manche Hebammen zählen auch das Sitzen auf einem Gebärhocker zu dieser Position.
- Sitzend: Ein Gebärhocker ist hufeisenförmig, hat also eine Aussparung, damit das Baby heraus kann. Der Vorteil ist, dass dein Gewicht nicht auf den Fersen lastet. Deine Uterusmuskulatur wird besser stimuliert, dadurch werden die Wehen effektiver. Du kannst in dieser aufrechten Haltung freier Atmen, das kommt auch deinem Baby zugute. Deine Begleitperson kann dich gut unterstützen und dir im wahrsten Wortsinn Halt geben.
- Vierfüßler: Hier kniest du auf dem Bett oder einer Matte. Den Oberkörper legst du auf der Bettlehne, einem Pezziball, ein paar Kissen oder auf deinem:r Partner:in ab. Du kannst dich in den Wehenpausen ausruhen, entlastest deinen Rücken. Trotzdem hast du viel Bewegungsfreiheit und kannst Wehen besser veratmen. Gut zu wissen: In dieser Position wirkt die Schwerkraft nur wenig auf den Muttermund. Falls er also nicht vollständig eröffnet ist oder das Köpfchen noch nicht optimal liegt, kann eine andere Position hilfreicher sein.
Du möchtest noch mehr zu dem Thema wissen? Dann schau dir unseren Artikel zu Geburtspositionen an!
Verwendete Quellen: S3-Leitlinie zur vaginalen Geburt am Termin, Familienplanung.de, hebammenblog.de, hebammen.at, Deutsche Hebammen Zeitschrift dhz-online.de