Eine sichere und schöne Geburt wünscht sich wohl jede Frau. In vielen Fällen treten der Geburtsschmerz und die Anstrengung zumindest nach und nach in den Hintergrund. Manchmal aber eben auch nicht. Manchmal überrollt die urgewaltige Geburtserfahrung Frauen regelrecht, es treten Komplikationen oder extreme Schmerzen bis hin zu Todesangst auf. Manchmal hinterlässt die Entbindung nicht nur eventuelle physische Verletzungen, sondern auch seelische Wunden, die Betroffene schwer belasten können.
Was ist eine traumatische Geburt?
Eine seelische Verletzung, die durch ein besonders belastendes Ereignis entsteht und von der jeweiligen Person nicht bewältigt werden kann, wird auch als Trauma bezeichnet. Was genau dazu führt, dass Frauen die Geburtserfahrung als traumatisch empfinden, kann sehr unterschiedlich sein. Die Gründe liegen manchmal im persönlichen Erleben der Geburt – wenn sie etwa überwältigend schnell, sehr langsam oder extrem schmerzhaft abläuft. Es können aber auch äußere Faktoren belasten, beispielsweise wenn sich Anwesende in der verletzlichen Situation empathielos verhalten oder sogar Gewalt anwenden. Komplikationen unter der Geburt können ebenfalls ein Auslöser sein. Häufig beschreiben Frauen im Zusammengang mit traumatischen Geburtserlebnissen einen Kontrollverlust und das Gefühl von Hilflosigkeit, etwa wenn der Kristeller-Handgriff eingesetzt wurde.
Expert:innen gehen davon aus, dass bis zu einem Drittel aller Frauen ihre Geburt als traumatische Erfahrung bewerten. Zum Glück entwickelt nur ein kleiner Teil nach der Geburt eine Traumafolgestörung wie etwa eine posttraumatische Belastungsstörung (etwa drei bis vier Prozent). Ein weit größerer Teil der Frauen ist zwar nicht von einer Folgestörung im klinischen Sinne betroffen, leidet aber dennoch immens unter der Geburtserfahrung.
Auch bei diesen Frauen können eine ganze Reihe von Beeinträchtigungen auftreten – von Schlaflosigkeit über Selbstzweifel, Herzrasen, Ängstlichkeit, Schuldgefühle bis hin zu Depressionen. Die Partnerschaft und die sexuelle Beziehung können ebenso leiden, wenn beispielsweise der Gedanke an eine erneute Schwangerschaft und Geburt Panik auslöst.
Bei etwa 45 bis 50 Prozent der betroffenen Mütter gehen diese Symptome glücklicherweise nach bis zu zehn Monaten von allein zurück. Sie kommen wieder gut zurecht, haben die Erfahrung verarbeitet und in ihr Leben integriert. Das bedeutet jedoch auch, dass bei knapp der Hälfte der betroffenen Frauen das Leiden eben nicht von selbst verschwindet.
Geburtstrauma, auch ohne Diagnose
Psychologin Isabel Huttarsch, die unter anderem Mütter dabei unterstützt, traumatische Geburtserlebnisse zu verarbeiten, gibt zu bedenken: "Die Notwendigkeit, nach einer als traumatisch empfundenen Geburt Hilfe und Unterstützung zu bekommen, ist nicht an eine Diagnose geknüpft. Diese Frauen leiden. Ganz viele von ihnen haben aber Skrupel, den Begriff des Traumas überhaupt für sich anzuwenden."
Viele Frauen würden sich demnach scheuen, ihre Empfindungen in vollem Umfang zu benennen. Oft kennen sie in ihrem Umfeld oder aus Erzählungen Mütter, die noch drastischere, womöglich lebensgefährliche Geburtserfahrungen gemacht haben und glauben, selbst nicht klagen zu dürfen. Aber auch von außen wird die Geburt gerne idealisiert und aufwühlende Erfahrungen heruntergespielt: Hauptsache dem Kind geht’s gut!
Isabel Huttarsch bestärkt: "Solche Beschwichtigungen führen natürlich dazu, dass Frauen noch weiter infrage stellen, ob sie sich überhaupt Hilfe holen dürfen. Wichtig zu wissen ist, dass es bei einer traumatischen Erfahrung immer auch auf das subjektive Empfinden ankommt, nicht nur auf das objektive Maß."
Seelische Wunden: Wo bekomme ich Hilfe?
Nach einem belastenden Geburtserlebnis kann in vielen Fällen eine intensive Nachbesprechung der Geburt in einem vertrauensvollen Umfeld bereits helfen. Und das nicht nur, um sich einfach mal alles von der Seele zu reden, sondern auch als ganz konkrete Bewältigungshilfe für das Gehirn.
Isabel Huttarsch erklärt: "Normalerweise werden Einzelaspekte einer erlebten Situation vom Gehirn zu einer kohärenten Erinnerung zusammengefügt. Wenn ich aber eine traumatische Erfahrung mache, dann werden diese Dinge nicht richtig miteinander verknüpft. Manche Verknüpfungen fehlen, andere Dinge sind besonders stark verwoben – etwa das Gefühl Panik mit dem Ort Krankenhaus. Wenn ich versuche, darüber zu sprechen, hilft es dem Gehirn, das Ereignis so nachzuzeichnen, wie es abgelaufen ist. Schweige ich hingegen, werden die einzelnen Fragmente nicht verbunden. Das kann dazu führen, dass Symptome wie Angst und Unsicherheit bleiben."
Wichtig ist dabei nicht nur das Sprechen selbst. Ebenso bedeutsam sind empathische, vertrauensvolle Gesprächspartner:innen, die in der Lage sind zuzuhören, ohne sofort zu beschwichtigen. Das kann der:die Partner:in oder ein:e Freund:in sein, aber auch deine Hebamme, ein:e Psycholog:in oder eine Selbsthilfegruppe.
Geburtsbericht anfordern
Um den Geburtsverlauf und die genaue Abfolge der Ereignisse einmal genau nachzuvollziehen, kann es auch hilfreich sein, den eigenen Geburtsbericht zu lesen, rät Isabel Huttarsch. Jede Frau hat nach der Geburt das Recht auf Einsicht in dieses sogenannte Geburtsjournal. Hier erfährst du, wie du deinen Geburtsbericht anfordern kannst und was drinsteht.
Frauen, die sich nach der Geburt sehr belastet fühlen, sollten sich außerdem nicht scheuen, jede verfügbare Hilfe im Alltag von Familie und Freunden anzunehmen. Unter bestimmten Umständen steht ihnen sogar eine Mütterpflegerin zu, die in der Zeit nach der Geburt zu Hause unterstützt.
Verwendete Quellen: Deutsche Traumastiftung, Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin, Psychological Trauma: Theory, Research, Practice, and Policy