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Schwangerschaft Das Baby nicht bemerkt, bis die Wehen kamen - ist das möglich?

Unglückliche Frau
Unglückliche Frau
© Martin Dimitrov / iStock
Immer wieder liest man von Müttern, die ihre Schwangerschaft erst bemerkt haben wollen, als die Wehen einsetzen. Die ausbleibende Periode, den dicker werdenden Bauch - kann eine Frau diese Anzeichen wirklich übersehen? ELTERN online hat nachgeforscht.

Eine Schwangerschaft nicht bemerkt - kommt so etwas wirklich vor?

Ja - und gar nicht so selten. Der Berliner Gynäkologe und Psychotherapeut Peter Rott etwa geht davon aus, dass auf 500 Schwangerschaften eine unbemerkte kommt. Das sei eine deutlich höhere Anzahl als etwa die der Drillingsgeburten, die in Deutschland einmal pro 7.200 Geburten vorkämen. Als "unbemerkt" gilt für ihn dabei übrigens jede Schwangerschaft, die erst nach der 20. Schwangerschaftswoche oder sogar erst unter der Geburt festgestellt wird.

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Was sind das für Frauen, die Ihre Schwangerschaft nicht bemerkt haben?

Eine bereits im Jahre 2001 von dem Berliner Arzt und Privatdozenten Jens Wessel durchgeführte Studie an sämtlichen Berliner Klinikgeburten eines Jahres stellte eindeutig fest: Es gibt keine besonderen Merkmale!
Bei 65 der rund 27.000 in der Studie berücksichtigten Schwangeren wurde die Schwangerschaft erst nach der 20. Woche festgestellt. Unter ihnen befanden sich zwar mehr junge und ältere Frauen sowie mehr Sozialhilfeempfängerinnen - doch die meisten, nämlich 47 von ihnen, lebten in stabilen Beziehungen, nur 21 von ihnen waren noch nie zuvor schwanger gewesen. 22 der Frauen hatten einen Realschulabschluss, sieben hatten Abitur. Und: Viele der befragten Frauen gaben sogar an, zuvor von dem Phänomen einer nicht bemerkten Schwangerschaft gehört zu haben.

Wie kommt es dann, dass diese Frauen Ihre Schwangerschaft nicht bemerkt haben?

Manche Frauen verdrängen anscheinend sämtliche Anzeichen einer Schwangerschaft, weil ein Kind in ihrer Lebensplanung einfach nicht vorkommt. Oder weil sie überzeugt sind, niemals ein Kind bekommen zu können.
Häufig sind es sehr junge Frauen, die in eine solche Situation geraten. Oder es handelt sich bei den Betroffenen um ältere Frauen, die sich bereits in den Wechseljahren wähnen.

Kann ein Schwangerschaftstest ein falsches negatives Ergebnis angezeigt haben?

Das kann durchaus passieren. Manchmal reicht die HCG-Konzentration im Tagesurin anfangs nicht aus, um eine Schwangerschaft zu bestätigen. Das gilt besonders, wenn die Frau viel getrunken hat. Aussagekräftiger ist ein Test mit Morgenurin - doch setzt ein solcher Test halt immer voraus, dass die Frau zumindest eine Ahnung hat, dass sie schwanger sein könnte.

Was ist mit den typischen Schwangerschaftsanzeichen - die sind doch nicht zu übersehen, oder?

Offensichtlich deuten diese Frauen Schwangerschaftsanzeichen, die für viele andere werdende Mütter ganz eindeutig sind, um. Eine ausbleibende Periode wird so beispielsweise mit Stress oder häufigem Sport erklärt. Einige der betroffenen Frauen bekamen sogar weiterhin ihre Tage - ein Phänomen, das auch manche Frauen erleben, die um ihre Schwangerschaft wissen. Mediziner Wessel hat dazu eine weitere Erklärung parat: "Jede Schwangerschaft ist ein komplexer leiblich-seelischer Vorgang, in dem hormonelle, organische und psychische Veränderungen aufeinander bezogen werden." Sprich: Eine absolute Verdrängung der Schwangershaft kann sogar dazu führen, dass die Frau weiterhin monatliche Blutungen hat.
Die schwangerschaftsbedingte Gewichtszunahme fällt oft Frauen, die eh' übergewichtig sind, nicht weiter auf. Andere wundern sich vielleicht über das wachsende Bäuchlein, schieben es aber ebenfalls auf ihre Essgewohnheiten. Da passt es dann, wenn die Kindsbewegungen mit einer regen Darmtätigkeit "verwechselt" werden. Die Wehen, mit denen solche Frauen schließlich beim Arzt oder in der Klinik landen, halten sie häufig für Koliken.

Schwangerschaft: Das Baby nicht bemerkt, bis die Wehen kamen - ist das möglich?

Welche psychischen Mechanismen wirken bei einer Frau, die ihre Schwangerschaft nicht bemerkt?

Verdrängte, verleugnete und negierte Schwangerschaften

In der Studie von Dr. Wessel gaben nur 27 der 65 betroffenen Frauen an, partout kein Baby gewollt zu haben. Die meisten standen einem Kind entweder zwiespältig gegenüber oder hatten geplant, erst später eine Familie zu gründen. "Es drängt sich der Verdacht auf, dass diese Frauen die Konfliktsituation Schwangerschaft rational anders zu lösen versuchen als emotional", erläutert der Mediziner. "Ein noch so großes Schutzbedürfnis vor einer Schwangerschaft wird durch ein noch größeres Bedürfnis nach einem Kind auf der unbwewussten Ebene ausgehebelt."
Als Beispiel nannte er den Fall einer Steuerfachgehilfin, die an schwerem Asthma litt. Auch sie hatte ihre Schwangerschaft nicht bemerkt. Bei der späteren Befragung gab sie an, bei einer bewussten Schwangerschaft das Kind entweder abgetrieben oder monatelang Angst vor einem lebensbedrohlichen Asthma-Anfall gehabt zu haben. Während der unbemerkten Schwangerschaft hatte sie jedoch keinerlei Beschwerden.
Der Psychotherapeut und Frauenarzt Peter Rott beschreibt ganz ähnliche Mechanismen. Auch er ist überzeugt, dass manche Frauen unbewusst so die Entscheidung, ob sie das Kind austragen wollen oder nicht, umgehen. Grundsätzlich hätten jedoch Frauen, die eher distanziert seien und Konflikte nicht austragen, sondern "in sich hineinfressen" würden, ein höheres Risiko, ihre Schwangerschaft nicht zu bemerken.
Darüber hinaus unterscheidet Rott zwischen verdrängten, verleugneten und negierten Schwangerschaften: Bei einer verleugneten Schwangerschaft wüssten die Frauen eigentlich schon, was los sei, würden es sich jedoch nicht eingestehen. Frauen, die sich tatsächlich in einem sehr starken inneren Konflikt befänden, würden die Schwangerschaft nicht selten komplett verdrängen. Sie wüssten oft tatsächlich nicht, dass sie ein Kind erwarteten.

Ist es schlimm, wenn Frauen weiter die Pille nehmen, weil sie ihre Schwangerschaft nicht bemerkt haben?

Frauen, die zuvor mit der Pille verhütet haben, werden diese mit großer Wahrscheinlichkeit auch weiter einnehmen, wenn sie ihre Schwangerschaft nicht bemerken. Für das Ungeborene entstehen dadurch jedoch keine Schäden.

Wie schädlich ist es für das Baby, wenn die Frau geraucht und getrunken hat, weil sie ihre Schwangerschaft nicht bemerkt hatte?

Ganz klar: Alkohol und Nikotin sind schädlich für das Ungeborene - und je länger die Frau während ihrer Schwangerschaft geraucht und getrunken hat, umso höher ist das Risiko, dass das Baby Schäden davon getragen haben könnte.
Zumindest zu Beginn der Schwangerschaft gilt jedoch die so genannte "Alles oder Nichts"-Regel: Wird ein Keimling kurz nach der Einnistung durch Alkohol, Medikamente oder Nikotin geschädigt, entwickelt er sich gar nicht erst weiter.
Sobald jedoch die Schwangerschaft festgestellt wird, sind Zigaretten, Alkohol und viele Medikamente natürlich tabu - auch, wenn diese Feststellung erst spät erfolgt, weil die Frau die Schwangerschaft lange nicht bemerkt hat!

Soll eine Frau, die Ihre Schwangerschaft lange nicht bemerkt hat, noch Folsäure einnehmen?

Empfohlen wird die Einnahme von Folsäure vor allem während der ersten zwölf Schwangerschaftswochen - und im Idealfall auch schon, bevor die Frau überhaupt schwanger geworden ist. Denn bei einem starken Folsäuremangel kann sich das Zentralnervensystem des Fötus nicht gesund entwickeln. Im Extremfall können ein offener Rücken (Spina bifida), eine Lippen-Gaumen-Spalte oder andere Missbildungen die Folge sein.
Doch auch das Neugeborene braucht dieses Vitamin. Im Idealfall wird es durch die Muttermilch versorgt. Frauen, die ihre Schwangerschaft lange nicht bemerkt haben, sollten dieses Thema daher unbedingt mit ihrem Arzt besprechen.

Was ist mit Mutterschutz und Elterngeld, wenn man die Schwangerschaft nicht bemerkt hatte?

Frauen, die ihre Schwangerschaft zuvor nicht bemerkt hatten, haben selbstverständlich die gleichen Ansprüche wie alle frischgebackenen Mütter. Daher hier noch einmal die wichtigsten Fristen:

  • Mutterschutz & Mutterschaftsgeld: Normalerweise lässt sich eine werdende Mutter den errechneten Geburtstermin von Ihrem Frauenarzt bescheinigen. Diese Bescheinigung legt sie dann maximal vier Wochen, bevor der Mutterschutz beginnt (also in der Regel sechs Wochen vor dem errechneten Termin) ihrem Arbeitgeber und der Krankenkasse vor. Hat eine Frau die Schwangerschaft nicht bemerkt, wird wie bei einer Frühgeburt die vor der Entbindung nicht in Anspruch genommene Frist auf die Zeit nach der Geburt addiert.
  • Elterngeld: Elterngeld sollte man beantragen, sobald das Kind auf der Welt ist - das gilt auch für Frauen, die die Schwangerschaft zuvor nicht bemerkt hatten. Wer es aufgrund der ganzen Aufregung nicht sofort schafft, geht trotzdem nicht leer aus. Das Elterngeld wird drei Monate rückwirkend gezahlt.
  • Kindergeld: Ähnlich wie das Elterngeld wird auch das Kindergeld rückwirkend gezahlt - das Kindergeld sogar ein halbes Jahr lang. Trotzdem sollte auch hier für Mütter, die ihre Schwangerschaft nicht bemerkt hatten, gelten: Warten Sie nicht zu lange mit dem Antrag. Denn gerade in einer solchen Situation, wo die junge Mutter wahrscheinlich noch keine Erstausstattung besorgt hat, tut jede Finanzspritze gut.
  • Elternzeit: Die Anmeldefrist für die Elternzeit beträgt sieben Wochen vor dem gewünschten Beginn der Elternzeit. Da Mütter in der Regel ihre Elternzeit direkt im Anschluss an den Mutterschutz nehmen, bedeutet das für sie: Eine Woche nach der Geburt des Kindes läuft die Antragsfrist ab.

Daneben gibt es noch einige weitere Formalitäten, die jetzt zu klären sind.

Kann eine Frau, die ihre Schwangerschaft nicht bemerkt hat, eine gute Mutter sein?

Psychotherapeut Rott zitiert auch Studien, nach denen Frauen, die ihre Schwangerschaft nicht bemerkt hätten, ebenso gute Mütter seien wie Frauen, die die Schwangerschaft bewusst erlebt und aktiv gestaltet hätten. Allerdings seien Erstere oft ein wenig distanzierter gegenüber ihrem Kind.
Zur Sicherheit empfiehlt der Experte jedoch eine psychologische Betreuung - und zwar auch dann, wenn die Schwangerschaft doch noch im letzten Trimester entdeckt wird. Denn auch in diesem Fall müsste sich die Frau relativ schnell an die neue Realität gewöhnen.

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