Anzeige
Anzeige

Persönlichkeit Was fühlt das Baby im Mutterleib?

Persönlichkeit: Was fühlt das Baby im Mutterleib?
© mihailomilovanovic / iStock
Bereits vor seiner Geburt entwickelt jedes Baby eine eigene Persönlichkeit. Was brauchen Ungeborene, um in Ruhe zu reifen?

Das Ungeborene: hellwach und immer dabei

Das Lebensalter eines Menschen wird in China anders gezählt als bei uns: An seinem ersten Geburtstag wird ein Baby dort nicht zwölf, sondern 21 Monate alt; die neun Monate im Mutterleib werden auf sein Alter angerechnet. Denn die vorgeburtliche Entwicklung gehört für Chinesen zum Leben dazu.
Unsere Lebensrechnung beginnt mit der Geburt. Obwohl für Embryologen, Frauenärzte, Psychologen und besonders für die werdenden Mütter und Väter auch die Zeit vorher schon als Leben gilt. Für die meisten besteht kein Zweifel daran, dass das winzige Etwas, dessen Herz kaum vier Wochen nach der Zeugung aus eigener Kraft schlägt, mehr ist als eine Ansammlung von Zellen. Und: Zwölf Wochen alte Babys im Mutterleib haben winzige Hände, jede Fingerkuppe ist mit einem Geflecht von empfindsamen Tastzellen ausgestattet. Die Gesichtszüge entwickeln jetzt schon eine individuelle Ausprägung.
Wie sehr Kinder im Mutterleib bereits Mensch sind, wird auch klar, wenn man winzige Frühchen betrachtet: Babys, die um die 25. Schwangerschaftswoche geboren wurden, fehlen nur schützende Fettpolster unter der Haut und stabile Lungenbläschen. Wer in ihre anrührend weisen Gesichtchen schaut, wird keinen Augenblick zögern, den Kleinen die ganze Palette menschlicher Gefühle zuzugestehen. Sie legen die Stirn in Falten und wimmern, wenn ihnen zum Beispiel Blut abgenommen werden muss; sie entspannen sich und versuchen manchmal sogar ein Lächeln, wenn sie auf der nackten Brust ihrer Mutter liegen dürfen und deren Herzschlag spüren.
Bei Kindern, die den Mutterleib nicht vor der Zeit verlassen, sind die Sinne gegenauso wach wie bei Frühchen. "Der Uterus ist zwar ein Schutzraum", sagt Ludwig Janus, Psychotherapeut und Leiter der Internationalen Studiengemeinschaft für pränatale und perinatale Medizin und Psychologie mit Sitz in Heidelberg. "Aus der Welt befindet sich das Ungeborene jedoch nicht." Das bedeutet: Das Kind im Mutterleib nimmt Teil am Leben seiner Mutter, es spürt die Umgebung, in die es hineingeboren werden wird. Dieses Wissen ist faszinierend, manchmal aber auch ein wenig bedrückend. Viele Schwangere stellen sich dann und wann Fragen wie diese: Bekommt das Baby in meinem Bauch wirklich alles mit,was ich so erlebe? Spürt es meine Zweifel, meine Sorgen und Nöte, meine Hektik? Was muss ich tun, damit es ihm gut geht?
Die moderne Wissenschaft versucht Antworten auf solche Fragen zu geben. Hier die drei wichtigsten Erkenntnisse:

1. Es gibt eine nachweisbare stoffliche Verbindung zwischen Mutter und Kind

Das Baby genießt schöne Gedanken der Mutter

Das Ungeborene wird keineswegs nur genährt, der mütterliche Organismus füttert es auch mit vielen Informationen. Die Plazenta gibt die stofflichen Boten der Gefühle, die Hormone, an das Kind weiter. Ist die werdende Mutter beispielsweise gestresst, steigt der Cortisol-Spiegel an. Mediziner konnten bei Messungen des Nabelschnurblutes feststellen: Mit einer Verzögerung von nur wenigen Pulsschlägen erreicht der erhöhte Stresspegel auch das Ungeborene.
Auf Stress reagieren Babys im Mutterleib unterschiedlich: Die einen werden unruhig, ihre Bewegungen sind fahrig. Die anderen machen sich klein, ziehen Arme und Beine dicht an den Körper heran. An den positiven Gefühlen seiner Mutter hat das Baby genauso unmittelbar Anteil. Endorphine und andere Glückshormone strömen zum Ungeborenen, kaum dass sich seine Mutter entspannt, sich freut, glücklich ist. Embryologen fanden heraus: Die Rezeptoren für die Glücksboten sind im embryonalen Gehirn früh und gut ausgereift. Messungen der Gehirnströme von Ungeborenen ergaben, dass die Ausschläge der Kurven kleiner wurden, wenn die werdende Mutter (ab etwa der 20. Schwangerschaftswoche) von den Forschern gebeten wurde, sich eine besonders schöne Situation vorzustellen. Das Baby konnte diese schönen Gedanken im Bauch seiner Mutter also mit genießen.

2. Die Sinne des Ungeborenen entwickeln sich, das Kind kann seine Mutter von Woche zu Woche deutlicher erleben

Zuerst erwacht der Tastsinn: Schon in der siebten Woche reagiert die Haut. Das Kind kann fühlen, wie es vom Fruchtwasser umfangen ist, sein Körper ertastet den Rhythmus der inneren Organe der Mutter, schwingt mit ihrem Herzschlag mit.
In der 25.Woche ist das Gehör des Ungeborenen ausgereift. Jede werdende Mutter hat es schon erlebt: Wird der Mixer eingeschaltet oder die Autotür zugeschlagen, zuckt das Kind im Bauch zusammen.
Ungeborene können früh "schlechte" von "guten" Geräuschen unterscheiden. Liebesbotschaften der Mutter kommen immer gut an: Wenn sie ihr Kleines im Bauch anspricht, beruhigt es sich oder zappelt freudig. Professor Manfred Hansmann, Leiter der Uni-Frauenklinik in Bonn und ein Pionier im Bereich der Ultraschall-Untersuchungen am Ungeborenen, beobachtet seit vielen Jahren, wie eng die werdende Mutter und das Kind in ihrem Bauch miteinander verbunden sind: "Ich bitte die Frauen, nach der Ultraschall-Untersuchung noch ein wenig liegen zu bleiben und laut mit ihrem Kind zu reden. Wenn ich kurz darauf noch einmal auf den Bildschirm schaue, schwimmen die meisten Ungeborenen sehr entspannt im Uterus. Die Pulsfrequenz der Babys beruhigt sich, manchmal kann ich sogar die Entspannung in ihren Gesichtszügen erkennen."

3. Es gibt eine intuitive Verbindung zwischen der Mutter und dem Ungeborenen

Alle Forscher, die sich mit dem Seelenleben ungeborener Kinder beschäftigen, gehen davon aus, dass Mutter und Kind von innen her verbunden sind. Auch wenn sich dieser Kommunikationsweg biochemisch oder mit Ultraschall nicht nachweisen lässt. "Das Ungeborene nimmt die seelische Verfassung seiner Mutter wahr, es erspürt ihre Gedanken", sagt Dr. Thomas Reinert, Facharzt für psychotherapeutische Medizin an der Klinik Velbert (bei Wuppertal), der seit vielen Jahren vorgeburtliches Leben erforscht.

In den guten, harmonischen Phasen der Schwangerschaft freuen sich werdende Mütter über die innige Verbindung zum Baby. In den weniger schönen Zeiten kann diese Nähe Frauen aber auch beunruhigen, weil sie ahnen, dass sie Sorgen, die es immer mal gibt, nicht von ihrem ungeborenen Kind fern halten können. "Die Gefühle der werdenden Mutter prägen ihr Kind", sagt Dr.Thomas Reinert. "Wenn ein Mensch im Mutterleib ausschließlich Ablehnung erfahren musste, wird er es später wahrscheinlich schwerer haben, sich selbst zu mögen."

Liebe und Zuversicht - und das Ungeborene blüht auf

Das Baby im Mutterleib lebt sehr im Augenblick

Jede Mutter will das Kind in ihrem Leib zu einem glücklichen Wesen reifen lassen. Nur leider sind die Umstände nicht immer danach. Sogar ein Wunschkind kann der Frau, die es austrägt, gelegentlich Kummer machen. Und das alles muss das Kind im Bauch mit aushalten? Wäre es da nicht das Beste, negative Gefühle mit aller Kraft zu unterdrücken?
Nein, das sollte keine werdende Mutter von sich verlangen", sagt Dr. Reinert. Niemals würde er aus seinen Forschungen einen Vorwurf an werdende Mütter ableiten. "Man muss die Empfindungen der Kinder aber nicht herunterspielen, um die Frauen zu entlasten."
Ungeborene leiden mit, wenn es ihrer Mutter nicht gut geht. Es tut weh, sich das vorzustellen.Aber die Erkenntnisse von Dr. Reinert und seinen Kollegen haben auch viel Tröstliches: Das Baby im Mutterleib lebt sehr im Augenblick. So schnell, wie es mit in eine Moll-Stimmung fällt, so rasch hellt sich sein Gemüt auf, wenn seine Mutter wieder fröhlicher ist. Und: Schon kurze Phasen der Versöhnung mit dem Ungeborenen wirken heilend auf seine Seele. Gehen schwere Zeiten ihrem Ende entgegen, "riecht das Kind im Bauch das Paradies", wie Thomas Reinert es formuliert. "Es spürt, dass es ein Glück gibt und dass es mit seiner Mutter auf dem Weg ist, diesen Zustand zu erreichen." Schon im Mutterleib macht das seelische Stärke aus: nicht zu verzagen, wenn es mal schlecht läuft. Sondern zuversichtlich auf das nächste Stückchen Glück zu hoffen.

Weitere beruhigende Erkenntnisse kommen von einer Studie zum Thema "Erlebniswelt Mutterleib", die 2005 an der Universität Trier von der Psychobiologin Dr. Margarete Rieger abgeschlossen wurde:

  • Einen Zusammenhang zwischen Geburtsgewicht, Kopfumfang, allgemeiner Vitalität des Neugeborenen und Stress bei seiner Mutter während der Schwangerschaft gibt es nicht. Die These, dass die Gesundheit eines Kindes auch von der seelischen Verfassung der werdenden Mutter abhängt, ist nicht haltbar.
  • Ambivalente Gefühle oder schwierige Phasen im Leben der Mutter fügen dem Ungeborenen keinen seelischen Schaden zu. Nur extremer und extrem lang anhaltender Dauerstress erschüttern das kindliche Vertrauen in die Welt. Diese Babys schreien dann oft schneller und länger in der ersten Zeit nach der Geburt. Oder sie sind schläfrig,ihr Interesse an der Umgebung ermüdet rasch.
  • Es gibt Schutzmechanismen, die der weibliche Körper bereithält, um das Ungeborene vor Stress zu schützen. Im zweiten Schwangerschaftsdrittel entwickelt sich in der Plazenta ein bestimmtes Enzym. Es kann das Cortisol, den Stressbotenstoff im Blut, bis zu einem bestimmten Grad entschärfen und schützt dadurch das Ungeborene. Nur wenn der Stress dauerhaft zu viel wird, versagen diese Mechanismen.

Welche Prägungen nimmt das Kind mit auf die Welt?

Nahezu alle Neugeborenen haben Verhaltensmuster, die ihnen ein Gefühl von Geborgenheit, wie sie es im Uterus kennen lernten, verschaffen. Zum Beispiel robben schon die ganz Kleinen in ihrem Stubenwagen oder Bettchen mit dem Kopf ganz dicht ans Korbgeflecht oder an das Holz heran (was manchmal fast wie eingezwängt aussehen kann).Was sie suchen? Das vorgeburtliche Gefühl, als das Köpfchen dicht von den Beckenknochen der Mutter umgeben war.

Die allermeisten Kinder werden mit dem Grundgefühl geboren: Mama ist Wärme, Nähe, Schutz, ihre Liebe trägt mich. Auch dann, wenn das Kleine in den neun gemeinsamen Monaten Tiefpunkte in der seelischen Verfassung seiner Mutter miterlebt hat. Neugeborene schenken ihren Müttern einen wunderbaren Beweis für ihr Vertrauen: Auf nichts reagieren sie so stark wie auf Mamas Stimme. Sie zu hören, hilft den Kleinen, glücklich zu sein.

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel