Hat man einmal in den Abgrund geschaut und gefühlt, was für Emotionen eine Fehlgeburt oder eine auslösen können, will man das nicht nochmal erleben. Doch das ist das Risiko, dass wir eingehen müssen, wollen wir ein Regenbogenbaby auf die Welt bringen. Aber wie nur können wir mit der Angst umgehen, nochmal eine Fehlgeburt zu erleiden? Psychologin Sally Schulze hat sehr viele Frauen mit Fehlgeburts-Erfahrungen begleitet und erklärt, was helfen kann, wenn Ängste uns quälen.
"Was können wir tun, damit das nicht nochmal passiert?"
Eines vorweg: Es gibt keine Prävention. Wir können immer erst reagieren, wenn wir in einer Situation sind. Darauf vorbereiten geht nicht, sagt Sally. Klar können wir Fehlgeburten-Statistiken wälzen und Eventualitäten durchspielen, aber auf die Emotionen, wenn etwas schief geht, hat das keinen Einfluss. "Die Beschäftigung damit nimmt nicht die emotionale Welle weg. Manchmal fühlt man auch eine Zeit lang gar nichts. Dann koppelt sich unsere Gefühlswelt von den Ereignissen ab. Damit schützt unser Gehirn uns, ähnlich wie ein Überhitzungsschutz. Plötzlich kommt dann ein kleiner Reiz und wir explodieren innerlich. Aber man kann eben erst reagieren, wenn etwas da ist."
Ängste in erneuter Schwangerschaft: Wie hält man das aus?
Erst einmal gilt es, die Angst vor einer erneuten Fehlgeburt anzuerkennen, weil sie einen Realitätsbezug hat. Diese Angst ist berechtigt. Das Risiko existiert und ist real. Hier ist es total wichtig, sich nicht unter Druck zu setzen und sich die ganze Zeit zu sagen: Mensch, reiß dich doch mal zusammen, sondern vielmehr gut zu sich zu sein und wie mit einer Freundin zu sich zu sprechen: Es ist total nachvollziehbar, dass du Angst hast. Das Fehlgeburtsrisiko ist ja nicht kleiner geworden, weil du schon mal eine hattest. Deine Angst ist berechtigt. Jetzt gucken wir erstmal, wie wir den Mut finden, den Tag zu schaffen.
Angst zu haben, ist okay!
Sich die Angst selbst nicht als unrealistisch abzuerkennen, ist ein erster wichtiger Schritt, um dann hinzuschauen und zu sagen: Okay, das sind meine Ängste und jetzt überlege ich einmal, wie ich meinen Tag oder meine Woche strukturieren kann. Schritt für Schritt. Es ist schließlich kaum auszuhalten, die Zeit auf ein Kind zu warten. Vor allem in der Frühschwangerschaft. Sallys Unterstützungsangebot "MentalStark" bietet dafür auch eine psychologisch betreute Gruppe für die Frühschwangerschaft an, in der gemeinsam geschaut wird, wie man sich gut um sich kümmern und sich Gutes tun kann, wenn man das Gefühl hat, allein an die eigenen Grenzen zu stoßen.
Es kann nicht passieren, dass es einem schlecht geht und man merkt es nicht, man muss einfach dann damit umgehen, wie man sich fühlt. Und da hilft im ersten Schritt radikale Akzeptanz.
Wenn man es nicht alleine schafft: Hilfe suchen
Und besser früher als später eine Beratungsstelle aufsuchen, denn die helfen dort auch bei der Lotsenfunktion: Ist eine Beratungsstelle noch das richtige oder ein Gruppengespräch? Hilft das genug, um sich lang zu hangeln oder ist doch eine Einzelbetreuung nötig? Und: Man kann auch schwanger sein und eine depressive Episode haben. Also ganz wichtig: Es gibt keinen Grund in der Schwangerschaft keine Therapie zu machen. Auch von vermeintlich langen Wartelisten sollte man sich nicht abschrecken lassen. Oft findet sich doch schneller ein Platz als zunächst gedacht.
"Ich möchte an dieser Stelle davor warnen, nicht zu versuchen einen Platz zu finden, weil man denkt es gibt ja keine. Die Wartelisten sind überall künstlich aufgebläht, weil sich natürlich viele Suchende auf viele Wartelisten setzen lassen, sie am Ende aber nur einen Platz in Anspruch nehmen können. Daher sollte man da auch nicht zu pessimistisch sein." Sehr viele Therapeut:innen und auch an den Ausbildungsinstituten weiß man: Schwangeren muss man schnell helfen. "Und bloß nicht das Hormon-Abwarte-Modell fahren, nach dem Motto: Jaja, wenn die Hormone erstmal wieder im Lot sind, wird das schon. Nein! Wenn es dir schlecht geht, überlegen, wie es dir besser gehen könnte – und zwar ab morgen."
Sally ist Diplompsychologin, approbierte Psychotherapeutin und Expertin für Frauenheilkunde. Sie hat vier Jahre als Psychologin Frauen mit drohender Frühgeburt und Eltern auf der Babyintensivstation der Uniklinik Frankfurt betreut. Schon als junge Psychologin wurde sie in die Facharztkonferenz der Uniklinik Frankfurt aufgenommen. Hier erarbeiten Spezialisten:innen verschiedener medizinischer Fächer individuelle Behandlungswege für komplizierte und ungewöhnliche "Fälle" mit Kinderwunsch. Sally ist die psychologische Expertin dieses Gremiums. An der Uniklinik hat sie auch zunächst ehrenamtlich als Psychologin Paare mit unerfülltem Kinderwunsch beraten. Bald schon konnte sie die vielen Anfragen von emotional belasteten Paaren nicht mehr abdecken. Aus diesem Bedarf heraus entstand die Idee für die Onlineplattform MentalStark.