In ihrem Buch "Jede 3. Frau" hat Natascha Sagorski Geschichten von 24 ganz unterschiedlichen Frauen gesammelt, die alle eines gemeinsam haben: eine Fehlgeburt. Damit will sie das Tabu brechen, das noch immer bei diesem Thema herrscht. Denn statistisch gesehen erleidet jede dritte Frau eine Fehlgeburt. Marlene ist eine davon.
Anfang 2019, mit 24 Jahren, bekam ich die Diagnose Endometriose. Ein Jahr zuvor hatte ich die Pille abgesetzt. Nicht, um schwanger zu werden, sondern, weil ich mich mit ihr nicht mehr wohlgefühlt hatte. Seitdem litt ich unter so starken Schmerzen und Blutungen, dass mir bereits klar war, dass irgendetwas nicht stimmte. Doch die Diagnose war trotzdem ein Schock für mich. Schon immer war es mein Traum, einmal, und am liebsten jung, Mutter zu werden. Über Endometriose liest und hört man ja viel, vor allem in Hinblick auf Kinderwunsch und Unfruchtbarkeit. Dass nun ausgerechnet ich diese Krankheit habe, hat mir Angst gemacht, und ich befürchtete, vielleicht nie schwanger werden zu können.
Schwanger trotz Endometriose?
Ich hatte damals erst vor Kurzem einen neuen Job angefangen, weswegen das Kinderthema bei uns eigentlich gerade nicht weit oben auf der Agenda stand. Doch nachdem bei mir eine Bauchspiegelung durchgeführt wurde, bei der ein Großteil der Endometrioseherde entfernt wurde, sagten die Ärzte mir, dass wir in den nächsten sechs Monaten bessere Chancen haben würden, schwanger zu werden. Danach kämen die Herde wohl zurück, womit die Chancen wieder rapide sinken würden. In unserem Urlaub besprachen mein Mann und ich das Thema Kinderwunsch und entschieden uns trotz meines neuen Jobs, loszulegen. Auch wenn unsere Zeitplanung eigentlich eine andere war, hatte die Diagnose Endometriose bei uns alles auf den Kopf gestellt.
Ich besorgte mir Ovulationstests, und wir starteten in den ersten Kinderwunschzyklus. Als ich nicht gleich schwanger wurde, ist bei mir eine kleine Welt zusammengebrochen, weil das für mich die Bestätigung war, dass ich wohl wirklich unfruchtbar sei. Zudem hatte ich immer diese sechs Monate im Hinterkopf, nach denen die Endometrioseherde wieder zurückkommen könnten, und ich stand dank dieser Deadline unter einem noch größeren innerlichen Druck.
Im zweiten Zyklus machte ich wieder 14 Tage nach dem Ovulationstest einen Schwangerschaftstest und hätte fast meinen Augen nicht getraut, als dieser tatsächlich positiv war. Ich konnte es kaum erwarten, meinem Mann davon zu erzählen. Mein Mann freute sich ebenso sehr wie ich. Auch meiner besten Freundin habe ich am Nachmittag ein Bild des positiven Tests geschickt. Meinen Eltern habe ich die frohe Botschaft einige Tage später verkündet, auch sie haben sich wahnsinnig gefreut, wussten sie doch von meinem Kinderwunsch.
Ich war dankbar und glücklich
Es war wirklich wie ein wahr gewordener Traum. Ich hatte keine Übelkeit oder sonstigen Beschwerden, war einfach nur dankbar und glücklich. In der Woche darauf ging ich zum Frauenarzt. Zwar war es zu früh für einen Ultraschall, doch da ich in der stationären Jugendhilfe arbeitete, benötigte ich eine Bescheinigung des Arztes über die Schwangerschaft. Aufgrund des erhöhten Ansteckungsrisikos und des Risikos, Gewalt ausgesetzt zu sein, werden in der Jugendarbeit tätige Schwangere meist gleich ins Beschäftigungsverbot geschickt. Der Bluttest bestätigte die Schwangerschaft, doch eigentlich wollte ich die Neuigkeit auf der Arbeit noch nicht sofort verkünden. Stattdessen hoffte ich, eine Krankmeldung zu bekommen. Mein Arzt meinte aber, das würde keinen Sinn machen, da ja das Beschäftigungsverbot sowieso greife. Deswegen rief ich daraufhin meinen Chef an und verkündete die Neuigkeiten, woraufhin ich freigestellt wurde.
Ein paar Tage später, es war ein Freitagabend, waren wir mit einigen Freunden unterwegs. Ich konnte es nicht wirklich erklären, aber irgendwie fühlte ich mich traurig. Den ganzen Tag über hatte ich schon ein komisches Gefühl, war niedergeschlagen und wusste gar nicht, warum. Normalerweise bin ich ein lustiger und geselliger Mensch, doch an diesem Tag war ich sehr introvertiert, leise und zog mich in mich selbst zurück. Mein Mann tröstete mich und sagte mir immer wieder, dass doch alles gut sei. Wir waren schwanger, das hatten wir uns doch so sehr gewünscht und konnten nun glücklich sein. Als wir gegen Mitternacht nach Hause kamen, hatte ich das dringende Bedürfnis, noch mal einen Schwangerschaftstest zu machen. Dieser Test war auf einmal negativ. Ich versuchte, mich innerlich damit zu beruhigen, dass ich nur einen Billigtest aus dem Internet benutzt hatte, doch mein Bauchgefühl sagte mir schon, dass etwas nicht stimmte. Nur wollte ich diesen Gedanken nicht zulassen und schon gar nicht laut aussprechen.
Der Schock am Morgen…
Als ich am Samstagmorgen aufstand und auf die Toilette ging, klebte frisches Blut am Toilettenpapier. Ich war geschockt und lief sofort los, um meinen Mann zu wecken. Gemeinsam fuhren wir direkt ins Krankenhaus. Im Auto kamen mir die Tränen, und ich hatte das Gefühl, dass es bereits vorbei war mit meiner Schwangerschaft. Wieder versuchte mein Mann, mich zu beruhigen, sodass ich es schaffte, mich im Krankenhaus zusammenzureißen. Vielmehr war ich wie in einem Tunnel. Ich weiß auch gar nicht mehr, ob und wie lange wir warten mussten, ich weiß nur noch, dass eine Ärztin mich untersuchte. Beim Ultraschall konnte sie außer einer gut aufgebauten Schleimhaut nichts erkennen, da ich aber erst in der sechsten Woche war, könne das durchaus sein und müsse nichts heißen. Sie meinte, dass nur ein Bluttest zeigen könne, ob meine Schwangerschaft stabil oder gerade eine Fehlgeburt im Gang sei. Sie wollte mich in einer Stunde anrufen, um mir das Ergebnis mitzuteilen.
Zu Hause saßen wir wie auf heißen Kohlen. Die Zeit verging, doch es kam und kam kein Anruf. Nachdem wir ewig nichts gehört hatten, rief ich selbst in der Klinik an. Erst beim dritten Telefonat bekam ich die Ärztin an den Hörer, die mir daraufhin mitteilte, dass mein HCG-Wert nur noch bei 17 sei, was darauf hindeutete, dass ich gerade eine Fehlgeburt hatte.
Es fühlte ich an wie ein Messerstich ins Herz. Ich legte schnell auf und begann zu weinen und zu schreien. Ich war richtig hysterisch, für mich brach gerade eine Welt zusammen. In meinem Schmerz hatte ich auch gar nicht gefragt, was nun auf mich zukommen würde, und umso schlimmer war es, als kurz darauf schlimme Krämpfe und sehr starke Blutungen einsetzten. Ich war ja aufgrund meiner Endometriose einiges gewohnt, doch die Fehlgeburt war noch einmal deutlich heftiger und schmerzhafter als meine sonstigen Perioden. Auch psychisch ging es mir sehr schlecht, und ich weinte fast die ganze Zeit.
Natürlich musste ich auch meinen Chef informieren, dass ich nun nicht mehr schwanger war. Ihn anzurufen, das schaffte ich nicht, da ich nur geweint hätte, doch ich schrieb ihm eine E-Mail. Er antwortete daraufhin mit einer sehr netten Nachricht, meinte, ich solle mir Zeit nehmen und dass seiner Frau dasselbe passiert sei. Es fühlte sich gut an, eine so verständnisvolle Reaktion vom Arbeitgeber zu bekommen. Umso schlimmer war für mich das, was später folgte.
Wieder auf die Beine kommen – nur wie?
Wirklich besser ging es mir in den folgenden Tagen nicht. Mein Mann trauerte zwar anders als ich und zog sich mit seinen Gefühlen eher zurück, doch gleichzeitig spürte er, dass ich ihn brauchte, und er versuchte, mir Halt zu geben. Meine Freundinnen reagierten sehr unterschiedlich. Eine brachte mir Blumen vorbei, um mich aufzumuntern. Aber meine beste Freundin war in einer ganz anderen Lebensphase als ich und konnte nicht wirklich nachvollziehen, was ich gerade durchmachte. Wieder eine andere Freundin meinte zu mir, dass man in so einem frühen Stadium ja gar nicht von einer echten Fehlgeburt sprechen könne. Das traf mich schon hart, doch ich schluckte nur und sprach daraufhin nicht mehr mit ihr über dieses Thema.
Was mir sehr half, waren Erfahrungsberichte von anderen Frauen, die ich im Internet fand. Vor allem von Frauen, die schnell wieder schwanger wurden, denn darauf hoffte auch ich. Ich wusste ja jetzt, dass ich generell schwanger werden konnte, nur schwebte über mir nach wie vor das Damoklesschwert Endometriose und das Wissen, dass die Entzündungsherde bald zurückkommen würden.
Eine Woche nach dem Abgang ging ich wieder arbeiten, und auch das half mir sehr. Es waren Sommerferien, und wir arbeiteten in Feriengruppen, sodass ich jeden Tag andere Kollegen traf und die ganze Zeit von neuen Leuten umgeben war. So hatte ich nicht viel Zeit zum Nachdenken, und das war auch gut so.
Neuanfang
Ein Termin bei meinem Gynäkologen in der Woche darauf zeigte, dass alles abgegangen war und ich keine Ausschabung mehr brauchen würde, das war natürlich zusätzlich eine Erleichterung. Auch meinte er, dass mein Mann und ich nicht lange warten müssten, bis wir es wieder versuchen könnten.
Kurz darauf brach ich wegen der Endometriose zu einer dreiwöchigen Kur auf. Am ersten Tag in der Klinik erreichte mich eine E-Mail meines Chefs, dass er mich nach meiner Rückkehr dringend sprechen müsse. Der Ton der Mail war irgendwie seltsam und löste bei mir ein ungutes Gefühl aus. Also rief ich meinen Gruppenleiter an und fragte ihn, was los sei. Unter der Hand teilte er mir mit, dass mein Vertrag wohl nach der nun auslaufenden Probezeit nicht verlängert werden würde und ich gekündigt werden sollte. Ich konnte mir schon denken, dass mein Kinderwunsch der Grund dafür war. Nur hatte ich nach der ersten verständnisvollen Reaktion meines Vorgesetzten nach der Fehlgeburt nicht mit einer Kündigung gerechnet. Mein Glück war, dass zu der Reha auch Gespräche mit einer Psychologin gehörten, und so konnte ich mich in dieser Zeit in Ruhe für das, was da auf mich zukam, wappnen.
Eine schöne Überraschung
Am ersten Tag nach der Reha folgte dann auch das Gespräch mit meinem Chef. Er erklärte mir ganz offen, dass ich ja wohl offensichtlich eine Schwangerschaft plane und deswegen für das Team nicht tragbar sei. Doch dank der psychologischen Vorbereitung schaffte ich es, den Tag einigermaßen selbstbewusst zu überstehen. Ich wurde dann auch sofort freigestellt und nach Hause geschickt. Trotz meines Kinderwunsches begann ich, sofort wieder Bewerbungen zu schreiben. Natürlich wäre ich nach alldem auch erst mal gerne daheim geblieben, aber erstens war das finanziell nicht so einfach machbar, und zweitens konnte es dank meiner Krankheit ja auch sein, dass wir noch sehr lange brauchen würden, bis es wieder mit einer Schwangerschaft klappte.
Aber es kam anders. Ich fand sehr schnell einen Job in einem Kindergarten und wurde zeitgleich wieder schwanger. Dieses Mal hatten wir keine Ovulationstests benutzt, es hatte einfach so funktioniert. Ich war zunächst wie in einer Schockstarre. Sollte ich mich freuen oder besser erst mal nicht? Würde es dieses Mal bleiben? Was würden meine Kolleginnen sagen? Es gab so viele Fragezeichen. Außer meinem Mann erzählte ich niemandem davon. Ich ging auch erst in der siebten Woche zu meinem Frauenarzt. Vor dem Termin hatte ich so viel Angst, dass ich zwei Nächte nicht schlafen konnte. Doch bei dem Ultraschall war bereits ein Dottersack sowie ein kleiner Punkt, der Embryo, zu sehen, und alles sah wunderbar aus.
Darf ich dem Glück dieses Mal trauen?
Zehn Tage später sah man das erste Mal ein kleines schlagendes Herz. Ein magisches Gefühl. Weniger positiv verlief es im Kindergarten. Meine Kolleginnen waren sauer, dass ich so schnell eine Schwangerschaft verkündete und sprachen daraufhin nicht mehr mit mir. Wichtige Informationen von den Eltern wurden mir nicht mehr mitgeteilt, und ich wurde ausgegrenzt. Es war eine sehr belastende Situation. Eigentlich hätte ich noch weiterarbeiten dürfen und das auch gerne gemacht, doch aufgrund der kollegialen Situation ging ich dann doch ins Beschäftigungsverbot.
Die ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft waren für mich aber auch ohne den Job eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Sie zogen sich fast ewig dahin, und ich war sehr ängstlich und angespannt. Im Laufe der Schwangerschaft habe ich mich dann mehr und mehr entspannen können, und Ende Juli 2020 mein gesundes Baby im Arm halten dürfen. Die tiefe Dankbarkeit, die ich dafür empfinde, kann ich kaum in Worte fassen. Mittlerweile wünschen wir uns für die Zukunft ein zweites Kind, und ich hoffe, dass auch dieser Wunsch in Erfüllung gehen wird. Mein Weg hat mir verdeutlicht, welch ein Wunder es ist, wenn man ein gesundes Kind auf die Welt bringen darf.
Schluss mit dem Tabu!
Ich finde, in der Gesellschaft gilt das so oft als Selbstverständlichkeit. Es wird so hingestellt, als wäre es ganz einfach: Man hat Sex, wird schwanger und bekommt dann ein Kind. Dabei geht es ja so vielen Menschen so, dass das nicht so einfach ist. Im Nachhinein erfahre ich von immer mehr Frauen in meinem Umfeld, dass sie das Gleiche oder Ähnliches erlebt haben wie ich. Und die, bei denen tatsächlich alles so easy funktioniert hat, wissen oft gar nicht, wie sie mit uns anderen umgehen sollen.
Erst gestern habe ich eine Freundin mit einem gleichaltrigen Kind wie meinem getroffen, und sie fragte mich, wie lange es bei uns gedauert habe, bis ich schwanger geworden bin. Ich sage dann immer, dass das nicht so leicht zu beantworten ist, da ich ja vor der Schwangerschaft schon einmal schwanger war. Mittlerweile kann ich das gut und ohne großes Drama erzählen, was mir anfangs noch schwergefallen ist. Doch ich merke jedes Mal, was es für ein Schockmoment für mein Gegenüber ist. Die meisten werfen mir dann so betroffene Mitleidsblicke zu und wissen gar nicht, wie sie reagieren sollen. Aber ich versuche, meine Fehlgeburt trotzdem nicht unter den Tisch zu kehren, sondern offen damit umzugehen, denn das ist so wichtig. Ich sage den Menschen dann auch, dass sie sich keinen Kopf machen müssen und dass ich heute gut damit zurechtkomme. Mir ist wichtig, dass es einfach kein Tabuthema mehr ist, und deswegen werde ich auch weiterhin ehrlich antworten, wenn mich jemand nach meiner Geschichte fragt.
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Natascha Sagorski ist nicht nur Autorin, sondern heutzutage auch PR-Beraterin im Tourismus. Sie hat selbst eine Fehlgeburt hinter sich.
In ihrem neuen Buch “Jede 3. Frau“ thematisiert sie Schwangerschaften ohne Happy End – und lässt 24 Frauen über ihre Fehlgeburt(en) und ihren Weg erzählen. Ein Tabubruch, der dringend nötig ist. Denn statistisch gesehen hat jede dritte Frau eine Fehlgeburt und fühlt sich damit meist allein gelassen. Sagorskis Buch ist bei Komplett Media erschienen und für 18 Euro erhältlich.