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Laut der Deutschen Depressionshilfe leiden 10 bis 15 Prozent aller jungen Mütter nach der Geburt unter einer postpartalen Depression. Sie können keine positiven Gefühle für ihr Baby empfinden, sind emotional instabil und quälen sich mit Ängsten, Zwangsgedanken sowie der Überzeugung, eine schlechte Mutter zu sein. Im schlimmsten Fall können die Betroffenen sich oder ihrem Säugling etwas antun.
“Die gute Nachricht aber ist,” so Prof. Dr. Harald Abele – unabhängiger Experte der bio-apo und ärztlicher Direktor für Geburtshilfe am Universitätsklinikum Tübingen – “dass die Depression nach der Geburt in der Regel gut behandelbar ist. Dabei können je nach Bedarf psychotherapeutische und/oder medikamentöse Behandlungsansätze verfolgt werden. Glücklicherweise verfügen wir heutzutage über wirksame, gut verträgliche Medikamente mit einer weitreichenden therapeutischen Sicherheit für die betroffenen Frauen und ihre Kinder.”
Was genau die sogenannte Wochenbettdepression auslöst, stellte Wissenschaftler:innen bisher allerdings vor ein Rätsel. Doch möglicherweise ist der Forschung nun ein Durchbruch gelungen.
Wurde die biologische Ursache für postpartale Depressionen gefunden?
Das Team des Forschungsprogramms für Reproduktionspsychiatrie an der University of Virginia School of Medicine untersuchte in einer Studie Blutplasmaproben von Frauen während und nach der Schwangerschaft. Das Ergebnis: Die Proben derjenigen Mütter, die nach der Entbindung an einer Wochenbettdepression erkrankt waren, wiesen einen Unterschied zu den nicht erkrankten Studienteilnehmerinnen auf.
Bei den Betroffenen zeigten sich eine Beeinträchtigung der Kommunikation in den Immunzellen und ein verlangsamter Abbau alten Zellmaterials: Die Autophagie, also das körpereigene Aufräumkommando, schien bei ihnen nicht richtig zu funktionieren. So blieben alte und krankhafte Zellbausteine erhalten, statt vom Körper abgebaut zu werden. Dieser gestörte Ablauf könne, so die Forscher:innen, zu Veränderungen in Gehirn und Körper führen und so in einem direkten Zusammenhang mit der depressiven Erkrankung stehen.
Besonders bedeutsam ist die Entdeckung, dass die Störung der Autophagie bereits vor dem Auftreten von Krankheitssymptomen einsetzte: Daraus leiten die Forscher:innen ab, dass sich eine postpartale Depression möglicherweise verhindern ließe. Risikopatientinnen könnten durch Bluttests schon vor der Geburt identifiziert werden und durch die Einnahme entsprechender Medikamente vor der Entwicklung einer postpartalen Depression geschützt werden. Laut Jennifer L. Payne, Leiterin des Forschungsteams, gibt es mehrere Medikamente, die die Autophagie fördern und so den Ausbruch der Depression verhindert könnten.
Depressionen dürfen kein Tabu sein
Bis es so weit ist, hilft den Betroffenen vor allem eins: eine Enttabuisierung der Erkrankung und eine konsequente Behandlung. Viele Frauen scheuen sich, aus Scham oder Selbstvorwürfen, Hilfe in Anspruch zu nehmen – was das Leiden unnötig verlängert.
Eine mögliche Lösung sieht Prof. Dr. Abele in einer proaktiven und breit angelegten Aufklärung: “Aus ärztlicher Sicht halte ich es für sehr wichtig, nicht nur Schwangere und Wöchnerinnen für dieses Thema zu sensibilisieren, sondern auch das familiäre und das professionelle Umfeld der Frauen mit einzubeziehen. Je besser das Krankheitsbild Schwangerschafts-Depression bzw. postpartale Depression bekannt ist, desto besser stehen die Chancen, dass entsprechende Symptome frühzeitig erkannt werden und fachkundige Hilfe eingeholt wird.”
Wenn ihr den Verdacht habt, dass ihr an einer postpartalen Depression leiden könntet oder glaubt, jemand in eurem Umfeld ist erkrankt, findet ihr hier Ansprechpartner:innen und Unterstützung:
- Schatten & Licht e.V.
- Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen e.V.: Hilfetelefon
- Nationales Zentrum Frühe Hilfen: Elterntelefon (anonym und kostenlos)
- Deutsche Depressionshilfe: Übersicht – wo finde ich Hilfe?
Und wenn es ganz schnell gehen muss: unter psychenet findet ihr Anlaufstellen bei einer akuten Krise und suizidalen Gedanken.
Postpartale Depression – was ist das eigentlich?
Die Schwangerschaft und die ersten Wochen und Monate nach der Geburt sind eine hochemotionale Zeit – doch nicht jede Stimmungsschwankung ist gleich eine Wochenbettdepression!
Dies betont auch Prof. Dr. Abele: “Es ist wichtig und auch beruhigend zu wissen, dass mehr als 50 Prozent aller Mütter im Laufe des 3. bis 5. Tages nach der Entbindung den sogenannten Baby Blues durchleben. Neben der Freude über das Baby erleben sie auf einmal Stimmungsschwankungen, Erschöpfung, Müdigkeit und Traurigkeit. Diese Symptome klingen jedoch in der Regel ohne Therapie rasch wieder ab – eine Wochenbettdepression bzw. postpartale Depression dagegen ist eine ernstzunehmende Erkrankung. Und sie ist behandlungsbedürftig – denn sie geht mit einem hohen Leidensdruck für die Betroffenen einher und kann langfristige Folgen für Mutter und Kind mit sich bringen. Hier könnt ihr alles Wichtige zum Thema postpartale Depressionen erfahren.
Quellen:
- Osborne, L.M., Payne, J.L., Sherer, M.L. et al. Altered extracellular mRNA communication in postpartum depression is associated with decreased autophagy. Mol Psychiatry (2022), zuletzt aufgerufen am 16.11.2022.
- Deutsche Depressionshilfe: In der Schwangerschaft und nach der Geburt, zuletzt aufgerufen am 16.11.2022.
- Prof. Dr. Harald Abele; unabhängiger Experte von bio-apo.de und ärztlicher Direktor für Geburtshilfe am Universitätsklinikum Tübingen.